Wien - Der Erste Weltkrieg dauerte bis ins Jahr 1918. Es gäbe also vier Jahre lang die Gelegenheit, ihn zu thematisieren. Eigenartigerweise aber glaubt man in allen Institutionen, sich heuer (und nur heuer) mit dem "Großen Krieg", der im Sommer vor 100 Jahren begann, beschäftigen zu müssen.

Die Wienbibliothek bildet da keine Ausnahme. Auch sie arbeitet, wie die Nationalbibliothek, mit den eigenen Beständen. Und auch sie illustriert auf der Hand liegende Stichwörter. Im Gegensatz zu An Meine Völker! im Prunksaal der ÖNB verzichtet die Schau im Rathaus aber völlig auf eine Chronologie. "Es ist Frühling, und ich lebe noch" - das titelgebende Zitat stammt vom Verleger Erich Baron kurz vor seinem Tod am 13. Juli 1915 an der polnischen Front - ist eher als feine Ergänzung zu sehen: Sie füllt Leerstellen auf erstaunliche Art und Weise.

Ausgangspunkt bildet ein Brief von Roda Roda, in dem er schreibt, "kriegsberichterstatten" zu wollen: Die 14 Themen sind mit Infinitiven wie "aufzeichnen", "kommunizieren", "verweigern" und "mustern" überschrieben; Ausnahme bildet lediglich das Partizip "gefangen". Manche Bereiche, darunter "pflegen" (3,6 Millionen Verwundete in der k. u. k. Armee) und "sterben" (1,2 Millionen gefallene Soldaten), folgen logisch hintereinander. Doch da führte eher der Zufall Regie: Marcel Atze, Leiter der Handschriftensammlung, und seine Kollegin Kyra Waldner ordneten die Manuskripte und Fotos nach dem Abc - von "aufzeichnen" bis "zensieren".

Knapp zwei Jahre lang haben die beiden die 11.000 Dokumente und etwa 1000 Nachlässe nach Materialien zum Ersten Weltkrieg durchforstet. Die Akribie machte sich bezahlt. Im Nachlass von Helmut Qualtinger beispielsweise stießen sie auf das Tagebuch, das dessen Vater Friedrich in der Kriegsgefangenschaft geschrieben hatte. Ausgehend von diesem eng beschriebenen Heft erzählen Atze und Waldner seinen weiteren Lebensweg: Bereits 1933 wurde Qualtinger Mitglied der NSDAP.

Ähnlich gingen sie bei vielen anderen Objekten vor: Sie zeigen nicht irgendein buntes Kriegsanleiheplakat, sondern ein ganz spezielles, das mit einem ausgestellten Werbegedicht zusammenhängt; sie zeigen nicht irgendeine bemalte Gipsbüste einer furchtbaren Gesichtsverwundung, sondern jene, zu der sie die Krankengeschichte gefunden haben.

Interessanterweise erbat keine Institution, nicht einmal das Jüdische Museum, Dokumente von Karl Kraus. Der Autor, der seine (mitunter zensierte) Fackel auch an die Front lieferte, steht daher im Mittelpunkt. Gut gemacht hätte sich in Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg auch ein Gedicht des elfjährigen Hans Weigel zum 16. Hochzeitstag seiner Eltern, in dem er das Vater unser abwandelt: "Vater unser, der Du bist in Rußland!"

Auch der umfassende Katalog ist herausragend. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 6.6.2014)