Deflationsgefahr, Konjunktursorgen, schwache Kreditvergabe, starker Euro, labile Banken: Gleich mehrere Probleme schleppt die Europäische Zentralbank mit sich herum, die sie mit einer neuerlichen Zinssenkung - die Einlagenzinsen der Banken bei der EZB rutschen gar in die rote Zone - und frischen Geldinjektionen in das Finanzsystem lösen will. Zweifel an den Erfolgsaussichten gibt es viele, zumal die Zentralbank nun schon seit sechs Jahren auf Krisenmodus unterwegs ist - ohne durchschlagenden Erfolg. EZB-Chef Mario Draghi sollte sich daher ein paar Fragen durch den Kopf gehen lassen:

Die Zinsen lagen bisher schon auf Rekordtief, ohne dass dadurch die Kreditvergabe stimuliert worden wäre. Warum glauben Sie, dass eine weitere Senkung nun einen Umschwung herbeiführen soll? Negative Einlagenzinsen stellen eine Art Strafgebühr für Banken dar, die überschüssige Liquidität bei der EZB parken: Ist nicht damit zu rechnen, dass Banken diese Kosten an die Kunden überwälzen und wegen geringer Nachfrage und hohen Kreditrisikos weiterhin kaum Darlehen vergeben? Herr Draghi: Fühlen Sie sich nicht mitverantwortlich für die restriktive Kreditvergabe - die Banken steigen ja wegen Bilanzchecks und Stresstests zurzeit noch stärker auf die Bremse?

Herr Präsident, bei allem Respekt vor Ihrer Unabhängigkeit: Kann es sein, dass die Zinssenkungen in Zusammenhang mit den hohen Staatsschulden der Euroländer stehen, denen Sie zur Seite springen? Wenn ja: Halten Sie es für einen willkommenen Lenkungseffekt, dass die Staaten dank niedriger Zinsen weniger rasch konsolidieren? Diverse Studien haben analysiert, dass die Politik der großen Notenbanken - abgesehen von den Regierungen - Immobilien- und Aktieninvestoren Billionengewinne beschert: Halten Sie diese Umverteilung nach oben zu tendenziell wohlhabenden Anlegern für vertretbar? Was sagen Sie kleineren und mittleren Sparern, deren Guthaben nun schon seit mehreren Jahren durch niedrige Zinsen entwertet werden? Hinkt ein Vergleich zwischen einer Vermögenssteuer auf festverzinsliche Finanzanlagen und der EZB-Politik? Wenn ja, warum?

Herr Draghi, Sie haben am Donnerstag auch neue langfristige Geldspritzen an die Banken angekündigt. Bisherige Maßnahmen dieser Art führten vor allem dazu, dass die Finanzinstitute die Mittel bei der EZB parkten oder sie in Staatsanleihen und Sachwerte pumpten. Warum glauben Sie, dass die neuerlichen Injektionen diesmal Unternehmen und Konsumenten zugutekommen sollen? Besteht nicht die Gefahr, dass die Fortsetzung der Geldschwemme echte Blasen heranwachsen lässt, deren Platzen zu massiven Erschütterungen der Weltwirtschaft führen kann?

Eine Abschlussfrage, wenn Sie gestatten: Die gesunkene Inflation in der Eurozone hängt mit hoher Arbeitslosigkeit und daher schwachem Konsum sowie niedrigen Energie- und Rohstoffkosten zusammen. Glauben Sie ernsthaft, dass die Geldpolitik hier gegensteuern kann? (Andreas Schnauder, DER STANDARD, 6.6.2014)