Es wird vielleicht nicht der Sommer des Lebens für Joseph S. Blatter. Den sollte man als 78-Jähriger schon genossen haben. Aber der Obmann des gemeinnützigen, im Heimatkanton Zürich äußerst moderat besteuerten, milliardenschweren Vereins namens Fédération Internationale de Football Association (Fifa) darf sich ab Donnerstag mit Beginn der 20. Fußballweltmeisterschaft schon zum fünften Mal als Herr der Welt fühlen. Sein Verein hängt mit 209 Mitgliedern sogar die Uno ab. Den Unterschied zwischen Blatters und UN-General Ban Ki-moons tatsächlichem Einfluss auf die Mächtigen aus Politik und Wirtschaft möchte man zum Beispiel Fußball spielen können. Schließlich gebietet die Fifa im Unterschied zur Uno über die größte Show auf Erden, nicht nur alle vier Jahre, sondern eigentlich Tag für Tag.

Natürlich wird der Ausflug nach Brasilien, den er mit einem kecken Tweet („glücklich angekommen, freue mich sehr auf die kommenden 6 Wochen“) eröffnet hat, nicht nur ein Honiglecken für Blatter – ganz abgesehen von den Strapazen, den Reisen durch das weite Land, den Empfängen, Banketten und dem ewigen Fußball. Ganz kann sich selbst ein Blatter nicht vom Unmut abschotten lassen, der der Fifa im Allgemeinen und ihm im Besonderen entgegenschlägt. Und in den gerade irgendwie fertiggestellten Stadien wird er schutzlos den üblichen Missfallenskundgebungen ausgeliefert sein.

Als ob er oder die Fifa etwas dafür könnten, dass Brasilien in zum Teil völlig unsinnige Stadionprojekte Summen investiert hat, die den Voranschlag um das Fünffache übertreffen. Die Fifa hat von der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas auch keine WM gefordert, mit deren Gesamtaufwand beinahe eine notverstaatlichte, mittelgroße österreichische Bank zu sanieren wäre.

Was sie gefordert hat, ist Konkurrenzlosigkeit für ihre Partner, was ihr garantiert wird, ist Steuerfreiheit und also Gewinn für sich selbst, für die Schar ihrer Mitglieder – von A wie Afghanistan Football Federation über Ö wie österreichischer Fußballbund bis Z wie zyprischer Fußballverband.

Die Höhe des Gewinns kann nicht, sie muss unverschämt genannt werden, die Praktiken, mit denen die teuer erkauften Rechte der Sponsoren verteidigt werden, rücksichtslos. All das, könnte Blatter aber argumentieren, war beim Zuschlag bekannt. Die Fifa sucht niemals um Austragungserlaubnis an, Austragungswillige rennen ihr die Türen ein. Auch weil sie Nichteinmischung in die Politik garantiert und soziale Verantwortung nur predigt.

So entsteht ein gelinde gesagt interventions- und investitionsfreundliches Klima, in dem ein wendiger Mensch wie Blatter blüht und gedeiht – weshalb er 2015 seine neuerliche Wiederwahl anstrebt. Die scheint umso gewisser, als er derzeit entspannt am Fluss der Medienenthüllungen sitzen kann, um das Vorbeischwimmen der Leichen seiner Feinde zu erwarten. Dass sein Konkurrent Michel Platini, ja sogar Franz Beckenbauer im Zusammenhang mit der Vergabe der WM 2022 an Katar just jetzt in ein schiefes Licht gerückt werden, macht die Kritik, die ihn beim am Dienstag anhebenden Fifa-Kongress erwartet, durchaus erträglich. Blatters und der Fifa Abgründe sind systemimmanent. Eine Reinigung von innen ist nicht zu erwarten – zumindest solange das Geschäft brummt und ihnen strafrechtlich nicht beizukommen ist. (Sigi Lützow - DER STANDARD, 10.6. 2014)