Matthias Sindelar (li.) und Hans Mock in Wien mit Hakenkreuzflaggen.

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Walter Iber (34) arbeitet am LudwigBoltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung in Graz. Er ist Koherausgeber des Buches "Fußball, Macht und Diktatur".

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STANDARD: Der "Guardian" nannte die österreichische Fußballlegende Matthias Sindelar jüngst "Anti-Nazi-Ikone". Wie kann sich ein solcher Mythos über die Jahre halten?

Iber: Kürzlich hat auch ein Kinderbuch dieses Märchen wiederbelebt. Teilweise werden Forschungsergebnisse bewusst ignoriert, manchmal werden sie einfach nicht wahrgenommen. Wir wissen, dass Sindelar ein arisiertes Kaffeehaus übernommen hat. Er bleibt aber Projektionsfläche für Wunschbilder.

STANDARD: Hat es der österreichische Fußball verabsäumt, mit Mythen aufzuräumen?

Iber: Tradition ist nur ein beliebtes Marketingvehikel heimischer Vereine, meist wenn ein Jubiläum ansteht. In Wahrheit ist nichts dahinter, es gibt kein Geschichtsbewusstsein. Die Austria hatte die Aufarbeitung ihrer Historie angekündigt, passiert ist nichts. Im Gegenteil: In der Festschrift zum 100-Jahr-Jubiläum wurde der längst widerlegte Mythos vom reinen NS-Opfer weitertradiert.

STANDARD: Und wie lautet die ungeschönte Wahrheit?

Iber: Es gab Opfer, es gab aber auch die Täter. SS-Führer Ernst Kaltenbrunner war Ehrenpräsident der Austria. Mit SA-Mann Hans Mock war mindestens ein Aktiver Mitglied der NSDAP. Opfer und Täter lebten nebeneinander, der Verein ist mitgelaufen.

STANDARD: Was steht einer ernsthaften Aufarbeitung im Wege?

Iber: Angst vor einem Imageschaden ist ein klassischer Grund. Und nichts gegen Journalisten, aber kritische Themen kommen bei deren Festschriften oft zu kurz. Man müsste professionelle Historiker einsetzen. Die Kosten wären überschaubar. Deutschland ist uns weit voraus, in Österreich sieht es traurig aus.

STANDARD: Welche Vereine müsste man in die Pflicht nehmen?

Iber: Existiert haben in der NS-Zeit viele Vereine. Alle, die sich das Wort Tradition an ihre Fahnen heften, müssten sich mit der Vergangenheit seriös auseinandersetzen. Einzig Rapid hat, auch wenn der Anstoß von engagierten Fans kam, etwas unternommen.

STANDARD: Warum ließen sich die Vereine instrumentalisieren?

Iber: Austria und Rapid haben in ihrem Willen zu überleben die schützende Hand an oberster Stelle der NS-Hierarchie gesucht. Zuerst der Verein, dann die Partei - eine allgemein gültige Regel in der Welt des Fußballs. Wenn ein Paktieren mit der Politik vonnöten ist, nimmt man es eben in Kauf. Egal ob Demokratie oder autoritäres Regime. Bei den steirischen Vereinen war es nicht anders.

STANDARD: Welche Mythen haben dort überlebt?

Iber: Sturm wollte sich immer unpolitisch darstellen, dem GAK wird hingegen eine Affinität zum Deutschnationalen nachgesagt. Aber auch bei Sturm gab es jeweils ein Gestapo- und ein SS-Mitglied. Der GAK hätte laut Erzählungen aufgrund seiner NS-Vergangenheit - ein Arierparagraf war Teil der Statuten - nach 1945 sogar Probleme mit der Weiterführung des Vereins gehabt. Dazu konnten wir gar nichts finden.

STANDARD: Ist der schludrige Umgang mit der Vereinsgeschichte ein österreichisches Phänomen?

Iber: Bestimmt nicht. Franco- Opfer FC Barcelona, Täter Real Madrid, das ist ebenso Schwarz-Weiß-Malerei. Barcelona hat vom Regime zwar einiges abbekommen, aber auch profitiert. Real war nicht der Verein des Franco-Regimes, das war schon eher Atlético. In der offiziellen Geschichtsschreibung des FC Barcelona wird der Mythos weitergetragen. Es gibt auch seriöse Abhandlungen, die haben aber weniger Verbreitung.

STANDARD: Warum sucht die Politik überhaupt die Nähe des Fußballs?

Iber: Bei einem Massenspektakel kann man sich perfekt präsentieren und ins rechte Licht rücken. Positive Darstellung nach außen, Stabilisierung der Verhältnisse nach innen. So war es schon bei den Gladiatoren, "Brot und Spiele" funktioniert bis heute.

STANDARD: Trotz anstehender WM tobt in Brasilien aber das Volk aufgrund sozialer Missstände.

Iber: Es muss für die Nationalmannschaft schon sehr gut laufen, um entgegenzuwirken. 1970 hat die brasilianische Militärdiktatur sehr stark auf den WM-Titel gesetzt, um im Land eine stabilisierende Wirkung zu erzielen. Auch in Argentinien 1978 sind viele Verbrechen der Militärdiktatur durch den Titel in den Hintergrund getreten.

STANDARD: Als Schalke unlängst eine Reise zu Wladimir Putin plante, war die Empörung groß. Steigt der öffentliche Druck?

Iber: Ein deutscher Klub kann in Zeiten wie diesen nicht zu Putin reisen, so weit ist das öffentliche Sensorium mittlerweile ausgeprägt. 1978 empfing die deutsche Nationalmannschaft bei der WM noch NS-Oberst Hans-Ulrich Rudel. Man ließ es geschehen, das wäre heute nicht mehr möglich. Das politische Verständnis wurde geschärft.

STANDARD: Kann man Politik und Fußball, wie oft gefordert, trennen?

Iber: Nein, Vereine und Fifa betreiben Politik in ihrem Sinne. Ideologien spielen keine Rolle. Hauptsache, die Existenz ist gesichert.

(Philip Bauer, DER STANDARD, 11.6.2014)