Es ist ja nicht nur der New York Marathon im November: Irgendwer in meiner Laufclique kam im Winter mit dem "Mühlviertel 8000“ daher. "So, ich hab uns da jetzt mal angemeldet“. Der MV 8000 ist ein Staffelbewerb bei dem es von Schwimmen, Straßen- und Mountainbiken, Nordicwalken über Hindernis- und Mittelstreckelaufen Mitte August in acht Etappen durch die Gegend zwischen Tschechien und Freistadt geht.

Wir wollen nur Spaß haben - aber ganz ohne Training geht das auch nicht: Ich fasste eine 16-km-Laufetappe mit 600 Höhenmetern aus - und kam bei einem Blick auf den Kalender unlängst drauf, dass ich jetzt langsam anfangen sollte, steilere Strecken als die Praterhauptallee zu laufen. Steinhof - Sievering schien für den Einstieg passend.

Foto: Thomas Rottenberg

Am Anfang der beiden Läufe schnürte es mir trotzdem die Kehle zu. Die Idylle an der Gedenkstätte für die Kinder vom Spiegelgrund, wenn in der Früh - oder am Vormittag - außer Vogelzwitschern und Sonnenaufgang nichts zu spüren oder zu hören ist, ist drastischer als es jedes bedrohliche Dröhnen oder jede düstere Lichtinstallation. Das ist gut so, richtig und wichtig.

Foto: Thomas Rottenberg

Eben weil Schönheit Böses so perfekt kaschiert - weil sie es aus dem Bewusstsein drängt. Gerade deshalb lasse ich auch Gäste und Besucher nie zur Otto Wagner Kirche schlendern ohne vor dem Jugendstiltheater das Wort  "Spiegelgrund“ zu erklären.

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Und erst dann die Kirche zu zeigen.

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Dabei gibt es auf dem Weg hinauf, über die Steinhofgründe zur Feuerwache, noch einige andere Erinnerungen: Die Wiesen hier waren im zweiten Weltkrieg Flak-Wiesen. Hier standen die Luftabwehr-Batterien. Splittergräben und Bombentrichter sind heute zugeschüttet. Oder zu Tümpeln im Wald geworden - aber die eine oder andere Panzersperre steht noch.

Foto: Thomas Rottenberg

Umso schöner ist es, hier frühmorgens (der erste Lauf fand an einem Vormittag statt, der zweite um Pfingsten und daher hitzebedingt zeitig in der Früh)  die Vorbereitungen für friedliche Festivitäten zu sehen.

Foto: Thomas Rottenberg

Ansonsten ist hier um diese Zeit wenig los. Ein paar Jogger und Walker. Hüfthohes Gras. Ab und zu ein Reh (natürlich immer dann, wenn die Kamera eingesteckt ist). Und obwohl Laufen doch immer nur Laufen ist, herrscht hier eine ganz andere Stimmung als unten in der Stadt.

Foto: Thomas Rottenberg

Ganz stimmt das mit dem "Niemand da“ nicht: Am Weg hinauf zur Jubiläumswarte gibt es einen Grillplatz. Und schon vor sieben Uhr in der Früh ist hier die Hölle los: Die Grillhölle wird vorbereitet. Denn schon vor sieben Uhr morgens Zeit ist jeder - tatsächlich jeder - Picknicktisch reserviert. "

Foto: Thomas Rottenberg

Wir sind seit zwei Stunden hier“, erklärte mir einer der freundlichen Serben, "wenn man später kommt, ist hier nämlich kein Platz mehr.“ Schön zu sehen, dass das Liegenreservieren im All-Inc-Club kein Austro-Deutsch-Mitteleuropäisches-Privileg ist. (Siehe auch "Liegenreservieren auf Migrantisch“ auf derrottenberg.com)

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Durch den Wald kommt man auf 1.001 Wegen dann irgendwann bei der Jubiläumswarte an. Am nettesten ist es, sich in der Früh von Westen anzunähern: Der Aussichtsturm schält sich dann nämlich aus dem Gegenlicht heraus.

Foto: Thomas Rottenberg

Dieser Blick gehört zu meinen liebsten Wienperspektiven. Zu jeder Tageszeit und (fast) bei jedem Wetter: Vergangenen Sommer war ich mit einer Freundin einmal spätabends mit einer Ladung Sushi hierher geflüchtet, um dem Dampf der sommerlichen Stadt zu entgehen.

Foto: Thomas Rottenberg

Fasziniert sahen wir einem aufziehenden, schweren Gewitter zu - und waren von dem Schauspiel so fasziniert, dass wir (obwohl beide Bergsteiger) erst in allerletzter Sekunde überrissen, dass die Kombination "Aussichtswarte“ und "Gewitter“ eher mäßig schlau ist. Höflich formuliert.

Foto: Thomas Rottenberg

Von Gewitterwolken war hier kurz nach sieben in der Früh natürlich nichts zu sehen. Aber auch um diese Zeit war ich  nicht allein. Benno war mir kurz zuvor über den Waldweg gelaufen: Er trainiert für einen Bergmarathon im Juli - und gehört zu jenen Leuten, die fast entschuldigend ein  "aber ich laufe nur den Halben“ dazu fügen. Als ich ihn fragte, wie viele seiner Arbeitskollegen auch nur fünf Kilometer laufend bergauf schaffen würden, lachte er. "Klar - aber man vergleicht sich eben nie mit Couchpotatoes und den anderen Leuten in der U-Bahn - sondern immer nach oben.“

Foto: Thomas Rottenberg

Gleich neben der Jubiläumswarte ist ein Bunker. Hier war eine der zentralen Kommandostellen der Wehrmacht, als der Kampf um Wien tobte. Den Bunker findet heute nur mehr, wer weiß, wo der Eingang lag. Noch immer gibt es Gerüchte, er habe bis weit in den Berg gereicht - und habe sogar die Villa erreicht, in die sich Baldur von Schirach zurückzog, als er den "Gaugefechtsstand Wien“ befehligte.

Schirach, einst "Reichsjugendführer“wurde bei den Nürnberger Prozessen als Kriegsverbrecher verurteilt. Der Bunker am Gallitzinberg ist heute verschüttet - einzig ein paar Einmann-Unterstände stehen noch da. Die letzten ihrer Art - und mit ihrem Verschwinden verblasst auch ein Stück Geschichte: Früher - vor dem Bau des Kraftwerkes Freudenau, standen diese Tonnen unter anderem auch alle paar hundert Meter am Donauufer.

Foto: Thomas Rottenberg

Die Zahl und Vielfalt der Wege durch den Wienerwald hat mich schon fasziniert, als ich hier noch lediglich als Spaziergänger unterwegs war.

Beim Laufen lernt man dann recht rasch, die Guten von den Tollen zu unterscheiden.

Foto: Thomas Rottenberg

Und die Wander- und Spazierwege von den feinen Trails, die auch von Mountainbikern gern genutzt werden. Das verraten zumindest die Spuren in der brettharten Erde.

Foto: Thomas Rottenberg

Solange der Boden hart und trocken ist, ist die Wahl des richtigen Schuhs einfach: Leicht - und ein bisserl Profil. Beim ersten Lauf hatte ich mich da für den X-Scream von Salomon entschieden: Für solche Bedingungen ein wirklich angenehmer Allzweckschuh, mit dem die eigentlich auf Trail- und Berglauf spezialisierte Marke aus dem Atomic-Suunto-Umfeld (wieder einmal) versucht, den Fuß auch bei Stadt- und Asphaltläufern auf den Boden zu bekommen: Das "Citytrail“genannte Konzept geht auch ganz gut auf - solange man in gemäßigtem, nicht steilen Gelände unterwegs ist oder nicht versucht, auf der Straße schnell zu sein...

Foto: Thomas Rottenberg

...oder aber tatsächlich Gatschhüpfen geht: Beim ersten Lauf hatte ich an den steilen Stellen, die von den Bikern schön gatschig-rutschig gefahren worden waren, die Grenzen des Allrounders sehr rasch ausgelotet - und so richtig fluchen gelernt.

Beim zweiten Lauf kam ich dann noch tiefer in den Gatsch: Statt Wanderwegen folgte ich den Spuren der Wald- und Forstarbeiter. Das ging zwar auf Kosten von Tempo & Kraft - war aber richtig lustig...

Foto: Thomas Rottenberg

…und funktionierte nur, weil ich einen anderen Schuh genommen hatte: Den "Acceleritas2“von "Icebug“. Mit dem laufe ich sonst eigentlich nur auf hartem Schnee - aber ohne die fast an Fußballschuhe erinnernden Stollen hätte ich vermutlich nicht nur geflucht, sondern auch aufgegeben.

Foto: Thomas Rottenberg

Stattdessen landete ich aber irgendwann und nach einigen recht lustigen Querwaldein-"Abkürzungen“ (die öfter als einmal schlicht und einfach Sackgassen ins Gestrüpp waren) am noch menschenleeren Hanslteich.

Foto: Thomas Rottenberg

Von dort ging es die Schwarzenbergallee entlang auf Asphalt wieder leicht bergauf.

Foto: Thomas Rottenberg

Und dann so rasch wie möglich wieder weg vom ganz harten Boden auf die Trampelpfade und Spazierwege bei der Marswiese - in Richtung Hameau.

Foto: Thomas Rottenberg

Ganz ehrlich? Wieso so viele Wiener vom Hameau schwärmen habe ich noch nie verstanden. Klar, das ist ein netter Spaziergang. Aber die Wiese hat wenig bis keinen Ausblick - vom "Holländerdörfl“ das der Feldherr Franz Moritz von Lacy Ende des 18. Jahrhunderts hier für seine Gäste errichten ließ, ist heute auch nix mehr übrig: Im zweiten Weltkrieg stand hier - erraten - die Flak. Aber weder von der noch von dem Wirtshaus, das danach - bis in die 60er-Jahre - hier stand, ist viel geblieben.

Foto: Thomas Rottenberg

Egal: Zum Laufen - und zum Bike - taugen die variantenreichen Teilstücke hier allemal: Ich habe Freunde aus Tirol, die regelmäßig ätzen, dass man in Wien doch unmöglich Mountainbiken könne. Nach ein paar ausgedehnten Touren durch den Wienerwald sehen sie das anders. Mehr noch: Ein Freund von mir, der als  Bergführer Skitouren zwischen Tirol und den Lofoten führt und MTB-Touren in ganz Europa, ist gerade am Austüfteln einer mehrtägigen Singletrail-Reise durch das Wiener Umland. "Und nein, das ist nix für Anfänger - da nehme ich nur erfahrene Rider mit: Das Bike im Wienerwald ist wie das Klettern im Helenental: Du kannst es gemütlich anlegen - aber es gibt auch knackige Routen, die noch keiner gegangen ist.“

Foto: Thomas Rottenberg

Gemütlich ist aber auch gut: Vom Hameau läuft man locker und entspannt zunächst zum Häuserl am Roa an der Höhenstraße, schaut in die Landschaft - und hoppelt dann weiter zum Häuserl am Stoa.

Foto: Thomas Rottenberg

Danach geht es zurück in die Stadt. Wo ich aus dem Wald kam, sah - und spürte ich - dass die Sonne schon richtig hoch stand. Zu hoch, um noch viel weiter zu laufen. Next Exit: Sievering.

Foto: Thomas Rottenberg

Die Stadt würde in wenigen Stunden im eigenen Dampf zu ersticken glauben. Angekündigt waren Temperaturen weit jenseits der 30 Grad. Trotzdem waren die Wiener wie für einen späten Septembertag angezogen. Egal: Der Freak in diesem Setting war wohl doch eher ich. Na und?

Strecke 1

Strecke 2

Was Rottenberg sonst noch so treibt: www.derrottenberg.com

Foto: Thomas Rottenberg