Die Finanzkrise bewirkt eine Wiederholung der Geschichte, auch was die Suche nach Alternativen betrifft. 2009 wurde zunächst der Vorschlag von John Maynard Keynes von 1944 einer globalen Reservewährung für den internationalen Handel ("Bancor") wiederbelebt und unter anderem von Joseph Stiglitz als "Idee, deren Zeit gekommen ist", bezeichnet.

Zum anderen erfährt gerade die Idee der vollständigen Deckung des Geldes bei Banken ("100 percent money") eine Renaissance, die Ökonomen rund um Irving Fisher und Milton Friedman in den 1930er-Jahren an den Universitäten Chicago und Yale entwickelten. Die Erwartungen waren geradezu paradiesisch: Rückgang der Instabilität, Ende von Bankruns, weniger Inflation und Staatsschulden. Fisher sah 1935 voraus: "Es könnte sogar dazu kommen (wenn nicht eine Katastrophe wie etwa ein Weltkrieg passiert), dass die Staatsschuld völlig eliminiert wird."

Präsident Roosevelt begutachtete den genialen Plan zweimal näher, doch die Großbanken verhinderten dessen Umsetzung. Fast 80 Jahre später, 2013, rechneten zwei IWF-Ökonomen nach und kamen zum Schluss: "Wir haben klare Belege für alle vier Annahmen von Fisher gefunden." Neben den prognostizierten stellten sie zwei weitere systemische Vorteile fest.

Ausfallsichere Girokonten

Allerdings berücksichtigten sie nicht die Weiterentwicklung der 100-Prozent-Geld-Idee in Europa rund um Professor Joseph Huber aus Halle zum "Vollgeld". Anstatt alles Bankengeld durch Zentralbankreserven zu decken, ist sein Vorschlag, dass nur noch die Zentralbank Buchgeld ausgibt - so wie heute schon Bargeld - und damit die Buchgeldschöpfung durch Privatbanken beendet. Geld käme schuld- und zinsfrei in Umlauf, es würde als öffentliches Geschenk direkt in den Staatshaushalt eingespeist. Über Staatsausgaben und die damit verbundenen Einnahmen von Privaten gelangt das Geld zu den Geschäftsbanken. Diese fielen dadurch um den Geldschöpfungsgewinn um, was einen Teil ihres Widerstandes erklärt.

In Österreich würde der öffentliche Geldschöpfungsgewinn je Prozent BIP-Wachstum rund 1,5 Milliarden Euro betragen. Der Vorschlag trennt die Geldausgabe (Zentralbank) von der Kreditvergabe (Geschäftsbanken). Daraus erhoffen sich die Proponenten eine höhere Systemstabilität, die Zentralbank erhielte die alleinige Steuerungshoheit über die Geldmenge.

Bei Rezessionsgefahr könnte sie eine kontrazyklische Fiskalpolitik mit einer kontrazyklischen Geldpolitik unterstützen, die im Unterschied zum heutigen Schuldgeldsystem auch wirksam wäre.

Ein weiterer Vorteil: Das Geld auf Girokonten würde ausfallsicher, weil die Girokonten aus den Bankbilanzen ausgegliedert würden. Bankruns würden weniger wahrscheinlich. In die Bankbilanz gingen nur noch Sparan lagen ein, welche die Kredite finanzieren. Die Bank würde damit dem Bild entsprechen, das viele Menschen heute von Banken haben.

Ein letzter, entscheidender Vorteil: Im Zuge der mehrjährigen Umstellung würde das von den Banken bisher geschöpfte Buch-/ Giralgeld in Zentralbankverbindlichkeiten umgebucht (gleich wie Bargeld); dadurch wird auf der Zentralbankbilanz eine gleich große Aktivposition "frei", die für einen nicht rückzahlbaren Kredit an den Staat genützt werden könnte. Da die von den Banken geschöpfte Giralgeldmenge rund 80 Prozent der Staatsschulden ausmacht, könnten diese um diesen Betrag gesenkt werden: Das Staatsschuldenproblem wäre in den meisten Staaten gelöst.

Monetäre Modernisierung

Umso kurioser ist, dass der Vorschlag für eine Vollgeldreform bisher fast hermetisch ignoriert wurde. Vielleicht ändert sich das demnächst: Am 24. April sprach sich Martin Wolf in seiner weltweit rezipierten Kolumne in der Financial Times für 100-Prozent-Geld aus. "Geld" sei ein "öffentliches Gut". In der Schweiz startet der Verein "Monetäre Modernisierung" am 7. Juni eine Volksinitiative zu diesem Thema, die von der Lobby Avenir Suisse bereits heftig beschossen wird.

Auch der grüne Europaparlamentarier Sven Giegold gab eine Studie beim ehemaligen Chefökonomen der Financial Times Deutschland, Thomas Fricke, in Auftrag. Der äußerte sich skeptisch gegenüber der Vollgeldreform. Allerdings vermengte Fricke die Steuerung der Geldmenge (durch die Zentralbank) mit der Steuerung der Kreditmenge (durch die Privatbanken), obwohl genau diese Trennung das erste Erkennungsmerkmal der Vollgeldreform ist.

Natürlich ist die Vollgeldreform keine eierlegende Wollmilchsau. Merkwürdigerweise fordern das aber viele von ihr, um sie überhaupt ernst zu nehmen. Das ist ungerecht: Mensch müsste mit demselben Argument gegen eine Finanztransaktionssteuer sein, weil sie nicht alle Probleme des Geld- und Finanzsystems auf einmal löst.

Die wichtigste Tandempartnerin der Vollgeldreform ist eine Kreditregulierung, um spekulative Booms und Crashs zu verhindern. Sonst könnten die Banken "Vollgeld" an Investoren verleihen, die damit einen Derivateturm aufhebeln oder eine Aktienblase befüllen.

Deshalb sollten Finanzkredite grundsätzlich verboten werden. Und reale Kredite sollten auf ihren sozialen und ökologischen Mehrwert hin geprüft werden - mittels einer Gemeinwohlprüfung. Neben der finanziellen sollte diese ethische Bonitätsprüfung über die Vergabe und die Konditionen jedes Kredites entscheiden.

Auch damit wäre noch nicht das gesamte Finanzsystem stabilisiert und auf Ethikkurs gebracht. Aber eine strukturelle Reform auf der Seite des Geldangebots und eine zweite auf der Seite der Kreditnachfrage wären zwei zentrale Säulen einer nachhaltigen Geld- und Finanzordnung.

Christian Felber ist Initiator der Projekte Bank für Gemeinwohl und Gemeinwohl-Ökonomie. Sein aktuelles Buch "Geld. Die neuen Spielregeln" befasst sich mit einer demokratischen Geldordnung.  (Christian Felber, DER STANDARD, 13.6.2014)