Die Dach Daughters.

Foto: Simone Brunner

Die Dach Daughters gab es bisher nur live zu hören.

Foto: Sabine Brunner

Manchmal hat Kunst etwas Prophetisches. Vor knapp zwei Jahren landete die ukrainische Frauenband Dach Daughters einen Erfolgshit auf Youtube mit dem Song "Rosy/Donbass", einer schräg-tanzbaren Hommage an das Industriegebiet im Osten der Ukraine. Jenen Ort, an dem sich heute Ukrainer und Russen erbitterte Kämpfe liefern. "Das Lied ist entstanden, als all diese Vorgänge noch nicht abzusehen waren", sagt die Musikerin Solomia Melnyk. "Vielleicht ist das zufällig – vielleicht aber auch nicht. Vielleicht ist es die Kunst der Prophetie."

Prophetie oder nicht – mit "Rosy/Donbass" (zu Deutsch: Rosen/Donbass) wurde jedenfalls ein Nerv getroffen. Fast 370.000-mal wurde der Song schon angeklickt. Studioaufnahmen gibt es noch keine. Wer die Dach Daughters hören will, muss es live tun. Sie spielen noch keine zwei Jahre zusammen, sind in der Ukraine aber schon so etwas wie eine Kultband. Eine wilde Soundcollage aus Burleske, Chansons, ukrainischer Folklore und Popmusik – ein "Freak Cabaret", wie sie ihren Stil nennen. Das Theatralische ist ein wichtiger Bestandteil ihrer Show: Alle sieben Musikerinnen sind ausgebildete Schauspielerinnen des Kiewer unabhängigen Theaters Dach. Eines Tages hätten sie beschlossen, zusammen zu musizieren, "weil wir finden, dass wir einfach verdammt gut miteinander klingen".

In Gefangenschaft

Ein Frauenchor rezitiert beim Konzert im "Gruenen Theater" in Kiew Anfang Juni Shakespeares 35. Sonett, das Wort "Donbass" formt den Rhythmus – "Fantastisch Donbass!" –, bis der Song in ein schnelles Irgendwas aus Cello, Rap, Klavier, Geige und Xylofon mündet. "Rosen! Rosen! Rosen!", tönt es im Finale. Donezk, die größte Stadt im Donbass, gilt als die "Stadt der Millionen Rosen". Für jeden und jede der knapp eine Million EinwohnerInnen wurde eine Rose gepflanzt – so will es zumindest die sowjetische Legende.

Es hat etwas Befremdliches, der wilden Performance an diesem lauen Sommerabend in Kiew zuzusehen – in dem Wissen, dass im besungenen Donbass gerade wieder Menschen sterben. "Natürlich stellen wir uns die Frage, wie wir uns jetzt verhalten sollen. Wo es nun einmal diesen Krieg gibt. Einfach Konzerte spielen und weitermachen, als wäre alles wie immer?", sagt Solomia später im Interview. Der Konflikt im Osten betrifft sie auch persönlich. Seit mehr als einem Monat ist Pawel Jurow, ein befreundeter Theaterregisseur aus Kiew, im ostukrainischen Slawjansk in Gefangenschaft. "Aber singen und tanzen ist nun einmal das Einzige, was wir machen können", sagt Solomia.

Eine Soundcollage aus Burleske, Chansons, ukrainischer Folklore und Popmusik.
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Erst kürzlich haben die Dach Daughters einen Brief einer Bekannten erhalten. "Sie wollte eigentlich nicht auf unser Konzert kommen, weil sie es sich selber nicht erlauben wollte, sich zu amüsieren, wenn Menschen im Osten erschossen werden", erzählt Solomia. Am Ende sei sie doch gekommen. "Das Konzert war ein Reinigungsprozess für sie – und sie hat verstanden, dass wir den Weg, so lang er auch sein wird, gemeinsam gehen werden."

Pussy Riot statt Spice Girls

In den vergangenen Monaten haben die Dach Daughters immer wieder auf einer ganz besonderen Bühne gespielt: dem Maidan Nesaleschnosti, dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz, an dem sich im November die Proteste gegen Präsident Wiktor Janukowitsch organisierten. Die Dach Daughters sangen auf der Hauptbühne, in den medizinischen Versorgungszentren, auf den Barrikaden und sogar vor der gefürchteten Sonderpolizei Berkut. Manchmal sei es mehr darum gegangen, die Leute bei Schneefall und klirrender Kälte aufzuwärmen. "Das war unsere Bürgerpflicht, wie Suppe kochen", sagt Ruslana Chasipowa.

Die Dach Daughters auf dem Maidan.
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Die Bürgerpflicht ging sogar so weit, dass die Künstlerinnen mithalfen, Molotowcocktails zuzubereiten. Das hat ihnen in einigen Internetforen den etwas zweifelhaften Ruf eingebracht, die "Spice Girls mit Molotowcocktails" zu sein. Wladimir Troizki, der Leiter des Dach-Theaters und auch Regisseur des Showprogramms, widerspricht dieser Zuschreibung vehement: Die Dach Daughters seien "mehr wie Pussy Riot, aber mit guter Musik".

Die Maidan-Konzerte seien eine emotionale Achterbahnfahrt gewesen. "Wir haben gespielt – und da waren Freude und Glück, und plötzlich konnte irgendwo scharf geschossen werden", erzählt Solomia. Ein Konzert der Dach Daughters war am 20. Februar angesetzt – dem blutigsten Tag der Proteste, an dem Dutzende Menschen im Kugelhagel starben. Der Auftritt wurde auf den 5. März verschoben. "Es war sehr seltsam. Die Leute haben sich sehr gefürchtet, ihre Emotionen herauszulassen. Wir haben mit einer Schweigeminute begonnen. Und die Menschen haben verstanden, dass das jetzt nicht einfach ein Unterhaltungskonzert sein wird", sagt Ruslana. "Am Ende war es für viele wohl auch so etwas wie eine Therapie."

Make Music not War

Seitdem im März mit der Annexion der Krim der Konflikt mit Russland ausgebrochen ist, haben die Dach Daughters jeden Monat auch in Russland gespielt. Das sei natürlich keine besonders leichte Entscheidung gewesen, räumen die Künstlerinnen ein. "Aber wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir auch unseren Beitrag leisten müssen. Unter uns nennen wir unsere Russland-Tour mittlerweile das Projekt 'Friedensgranate'", sagt Solomia. "Wir zeigen, dass die Ukraine nicht aus Faschisten besteht, wie es in der russischen Propaganda gezeigt wird."

Die Dach Daughters sehen ihre Kunst ganz klar patriotisch. "Wir wollen mit unserer Kunst zeigen, dass es klasse ist, Ukrainer zu sein", sagt Tanja Gawriljuk. "Wir haben eine schöne Sprache, Kultur, Traditionen, Wurzeln und viele Träume." Und den Willen, etwas zu verändern. Denn die ukrainische Kulturrevolution habe gerade erst begonnen. Die Bandmitglieder selbst stammen aus allen Ecken der Ukraine – von Lemberg im Westen bis Saporischschja im Südosten. "Wir sind eine Art Miniatur-Ukraine", lacht Tanja, die selbst aus Lemberg stammt. "Wir bauen unsere Ukraine gemeinsam auf." (Simone Brunner, dieStandard.at, 15.6.2014)