"Es gehört auch zum Leben in der Stadt, dass diese sich verändert", sagt Hans Gangoly.

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Stadtverdichtung muss auch Qualitäten im öffentlichen Raum mit sich bringen.

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STANDARD: Graz wird in den nächsten Jahren massiv wachsen. Wie wird nachverdichtet?

Gangoly: Es gibt viele Projekte, die man mit dem Begriff "Nachverdichtung" zusammenfassen könnte. Darunter sind auch problematische Projekte, etwa an der St.-Peter-Hauptstraße und anderen Grazer Ausfahrtsstraßen. Da werden Projekte als Einzelereignis gesehen, was zu schlechten Ergebnissen führt. Im Moment werden sehr viele Laubenganghäuser gebaut. Nachdem es in der Stadt Graz kaum Bebauungspläne gibt, die so etwas regeln, werden diese Projekte anlassbezogen entwickelt. Damit wird die Stadt unter dem Titel Nachverdichtung zerstört.

STANDARD: Gibt es auch positive Beispiele?

Gangoly: Es gibt Projekte mit einem größeren Maßstab, die versuchen, Stadtverdichtung ernst zu nehmen. Es ist wichtig, sich nicht nur auf das eigene Grundstück zu konzentrieren und die nächste Siedlung zu bauen, sondern zu versuchen, mit Stadtverdichtung auch Stadtreparatur zu betreiben.

STANDARD: Warum?

Gangoly: Beim Wohnungsbau wurde eigentlich nur Siedlungsbau betrieben, kein Städtebau. In den 60er- und 70er-Jahren und bis herauf in die Nullerjahre wurden in Graz wie auch in ganz Europa eigentlich nur Siedlungen gebaut, die sich in keine Struktur einfügen. Was man jetzt versuchen muss, ist, die offenen Lücken, die die Siedlungen hinterlassen haben, mittels Nachverdichtung zu schließen. Das Potenzial ist groß.

STANDARD: In Ihrer Publikation "Dense Cities" waren Dachausbauten ein Thema. Wo sehen Sie dafür Potenzial?

Gangoly: In den Gründerzeitvierteln werden die Dachgeschoße momentan in Einzelinitiativen mehr oder weniger interessant und hochwertig ausgebaut. Die echte Qualität würde aber darin liegen zu sagen: Was passiert, wenn man einen ganzen Block aufstockt? Dann könnte man die Energiebilanz wesentlich verbessern, man könnte Wohnraum schaffen, der eine echte Alternative ist zum Traum vom einsamen Haus am Stadtrand. Außerdem entsteht eine Dachfläche, die man der Gemeinschaft zur Verfügung stellen könnte, zumindest punktuell. Wenn man in eine Zukunft denkt - die aber nicht kommen wird -, könnte man sogar eine neue Stadtebene einziehen. Wir haben für die Gründerzeitblöcke ein Aufstockungskonzept entwickelt. Allein in diesem Bereich könnte man so viele Wohnungen unterbringen, wie Graz in nächster Zeit braucht.

STANDARD: Dann wären die Reininghausgründe also obsolet?

Gangoly: Wenn man es so exemplarisch darstellt, bräuchte man sie nicht. Man flüchtet gerne auf die grüne Wiese, wo man alles neu machen kann - und verdrängt dabei die Probleme, die in Siedlungsgebieten existieren. Aber in Reinighaus hätte man immerhin das Potenzial, zu überlegen, was denn heute Stadt überhaupt bedeutet und wie man Stadt zeitgemäß und nachhaltig bauen könnte. Aber natürlich hat auch die bestehende Gründerzeitstadt Vorteile.

STANDARD: Nämlich?

Gangoly: Es gibt eine funktionierende soziale Durchmischung, eine kleinteilige Geschäftsstruktur. Es gibt junge und alte Leute, eine funktionierende Infrastruktur und ein kulturelles Angebot. Das alles gibt es in Reininghaus nicht. Stadt neu zu bauen ist extrem schwierig - vor allem Stadt als urbanes Phänomen. Man kann schon ein Gebäude hinstellen, einen Park bauen. Aber wie der angenommen wird und ob genug Menschen mit verschiedensten Interessen hinziehen, ist schwierig zu sagen. Aber Reininghaus ist natürlich notwendig. Die Frage ist: Was passiert dort? Und wollen wirklich alle, die jetzt nach Graz ziehen, in Reininghaus wohnen?

STANDARD: Das Thema Nachverdichtung ruft häufig Bürgerinitiativen auf den Plan. Was tun?

Gangoly: Die Lösung liegt in der Bewusstseinsbildung. Dass Veränderung im Lebensumfeld ein Problem für jene ist, die dort schon lange wohnen, ist klar. Aber es gehört auch zum Leben in der Stadt, dass diese sich verändert. Dass es für Bewohner verträglich sein muss und in einem gesetzlichen Rahmen, ist klar. Außerdem müssen mit der Nachverdichtung Qualitäten im öffentlichen Raum entwickelt werden. Wir bemerken bei einigen Projekten, dass die größeren Wohnungen von älteren Menschen gekauft werden, die dafür ihr Haus am Stadtrand aufgeben. Viele Junge wollen außerdem kein Auto mehr. Speziell während der Krise kam es zu einem Umdenken bei den Menschen, was Energie und Mobilität angeht. Der individuelle motorisierte Verkehr ist der größte CO2-Emissionsfaktor. Dann kommen Gebäudebetrieb und Gebäudeproduktion. Je mehr Leute dichter zusammenleben, umso größer ist der Hebel, den man damit für die Senkung der CO2-Emission hat. Die Leute wollen in der Stadt wohnen, und sie verlangen einen qualitätsvollen öffentlichen Raum. Das ist nicht automatisch ein großer Park. So etwas muss parallel mit der Stadtverdichtung vonstattengehen. Denn Stadtverdichtung heißt nicht, auf einer quantitativen Ebene irgendwelche Dichtezahlen zu erhöhen, damit man mehr Wohnungen bauen kann. (Franziska Zoidl, DER STANDARD, 14.6.2014)