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Fußballlegende Pelé trug um 1980 noch kurze weite Flatterhosen.

Foto: Alex Gotfryd/CORBIS

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Der italienische Superstar Mario Balotelli trägt 35 Jahre später ein enges Trikot mit Retrokragenleiste.

Foto: Giampiero Sposito/Reuters

Für Ronaldo wäre das aktuelle Heimtrikot von Mario Balotelli keine Option gewesen. Der brasilianische Superstar der späten 1990er hatte gegen Karriereende mit Gewichtsproblemen zu kämpfen. Bei der diesjährigen Weltmeisterschaft in Brasilien zeigt das Jersey bei einem Gutteil der Spieler nämlich wieder mehr her, als es verdeckt - Anpfiff für die Show der perfekten Sixpacks. Vorbei die Zeiten, als die flatternden Trikots noch im Hosenbund steckten oder gar das eine oder andere Spielerbäuchlein versteckten - oder die knapp geschnittenen Höschen mit Gummizug bei Fußballlegende Pelé fast zu viel herzeigten.

Möglichst viel Bewegungsfreiheit

Früher dienten die Dressen primär der Unterscheidung der Nationen auf dem Spielfeld, und möglichst viel Bewegungsfreiheit sollte das Outfit naturgemäß zulassen. Das ursprüngliche Fußballtrikot ist ein simples, unförmiges Stück Stoff. Die Spieler waren Spieler und nicht Modeträger. Undenkbar, dass Pelé in den 1970ern eine Unterwäschekollektion herausgebracht hätte.

Heute dominieren modische Stilfragen und die Inszenierung der Körper. In den vergangenen Jahren fällt der Trend zur Körperbetonung auf. Auch der Wiener Soziologe Roman Horak, der Fußballfans erforscht hat, sieht die engen Dressen als eher kurzfristige Entwicklung, die mit dem vorherrschenden Körperkult zu tun hat: "Der Körper wird generell immer mehr inszeniert, neuerdings eben auch die Männlichkeit im Sport." Begonnen habe diese Entwicklung mit David Beckham. Er war einer der ersten großen Modeikonen im Sport.

Ärmellose WM-Trikots

Die Kameruner machen aus dem Körperkult schon fast einen Sport: 2002 sorgten die Afrikaner für einen Skandal: Ärmellos sollte ihr WM-Trikot sein. Doch Ausrüster Puma hatte sich mit dem Design für das neue Trikot des Afrika-Meisters zu wenig Stoff vorgenommen. Für so viel entblößte Haut hatte die Fifa kein Verständnis und pfiff die Oberteile zurück. Gespielt wurde schlussendlich mit braven schwarzen Ärmeln unten drunter. Die später geplanten Einteiler durften erst gar nicht aufs Feld.

Bei der diesjährigen WM setzt Ausrüster Puma mit Abstand auf die knappsten Trikots. Die knallengen Jerseys bedecken etwa die muskulösen Oberkörper der Italiener. Die eng anliegenden Dressen zeigen her, was früher nur zu sehen war, wenn sich ein Spieler am Feld das Trikot vom Oberkörper zerrte. Ein Graus für jedes Dekagramm Bauchfett.

Fleischliche Zuschauerlust

Für die Sportler hat die zweite Haut neben dem ästhetischen Aspekt zwar funktionelle Vorteile: Enge Stoffe gelten als durchblutungsfördernd und muskelstimulierend. Puma hat an anatomisch strategischen Positionen sogar Silikon-Tapes ins Gewebe der Trikots eingearbeitet. Doch hinter der Stoffhaut steckt noch mehr. Für Anna Kleissner vom Institut für Sportökonomie, SportsEconAustria, ist es eindeutig eine Sache des Marketings: "Es gibt immer mehr weibliche Zuschauerinnen, das verlangt nach modifizierten Strategien". Auch Soziologe Horak sieht darin "den Versuch, Fußball für Frauen interessanter zu machen" und so neue Zuschauer zu gewinnen. Dass die Ausrüster die fleischliche Zuschauerlust mit einkalkulieren, wundert angesichts des Milliardengeschäfts mit dem Fußball nicht.

Aber nicht nur körperbetonte Schnitte dominieren die aktuelle WM-Mode. Trotz der modischen Ausrutscher der Vergangenheit - in den 1960ern spielten die Deutschen mit bizarrem Schnürkragen, die Engländer 1966 mit knappesten engen Hosen, die viel Bein zeigten, und die Österreicher fielen 1982 mit großzügigen Flügelkrägen auf - dominiert heuer eindeutig der Retrochic. Gleich mehrere Nationen setzen mit einer Knopfleiste am Kragen auf schon einmal dagewesene Akzente.

Deutschlands brave Dressen mit den geknickten Streifen auf der Brust erinnern schmerzlich an die Sportmode der 1980er-Jahre. Die Japaner zelebrieren mit ihrem in Neonhellgrün strahlenden Auswärtstrikot die farblichen Modesünden aus der Zeit der Schulterpolster und Aerobic-Videos. Und auch Frankreich setzt auf Retro: Die dunkelblauen Heimtrikots mit weißem Flügelkragen sind schlicht mit leichtem Einschlag zum Hipsterlook.

Löwenkopf und Riesentulpen

Nicht geschadet hätte manchen Nationen eine Spur mehr Fantasie. Lustig etwa der Trikotstreich von Adidas bei Ajax Amsterdam - abgefahrene Entwürfe wie ein großflächiger Löwenkopf oder Riesentulpen auf der Brust wurden da dem Trainer und Spielern als vermeintlich echt präsentiert. Eher klassisch bis langweilig sind nämlich die Dressen von Spanien, Chile, England und den Niederlanden. Zum Unterscheiden der Spieler wird es aber reichen.

Und die störrischen Kameruner? Greifen wieder zu den engsten Jerseys und experimentieren mit Farbe: Das grüne Heimtrikot ist komplett mit Zackenlinien, Streifen und Löwen gemustert. Als Schriftzug tragen die Kicker "Les Lions Indomptables" vor sich her. Wenn das kein modisches Statement ist. (Marietta Adenberger, Rondo, DER STANDARD, 20.6.2014)

Der Amsterdamer Trikotstreich.
AFC Ajax