Sterlets sind die letzte Störart der Donau. Hier schwimmt einer im Aquarium.

Foto: pumhösel

Der Ziesel ist ein Anwohner der Aulandschaft

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Wien – Mondschein und Glühwürmchen beleuchten die Ufer des Fadenbachs. Nur der Schattenriss des Blätterdachs über dem schmalen Pfad ist zu erahnen. Die Ohren werden zum wichtigsten Sinnesorgan. In erster Linie werden sie von Chören aus Wechselkröten, Wasser- und Laubfröschen in Anspruch genommen. Sie hüllen die Szenerie in eine Klangwolke aus Triller-, Knarr- und Zirpgeräuschen. Die Naturstimmung auf der frühsommerlichen Nachtwanderung durch die Donauauen ist prall, dicht, sinnlich.

Vor allem für die Frösche selbst: Sie sind "einfach nur geil im Augenblick", sagt Manfred Rosenberger zu der intensiven Geräuschkulisse während der Paarungszeit. Der Ranger führt Exkursionen, Bootsfahrten und Wanderungen für Besucher des Nationalparks Donauauen und im Auftrag des Naturhistorischen Museums (NHM) Wien, das am Rande der Auen in Petronell eine Außenstelle betreibt. Rosenberger ist ein wandelndes Lexikon zur Ökologie und Geschichte des einzigartigen Lebensraums. Das Platschen auf dem Wasser, das eben erst das Gequake der grünen Lustmolche übertönte, war ein Biber, der seinen Schwanz aufs Wasser klatschte, um seine Sippe vor den Wanderern zu warnen. Und ein helles Pfeifen. Es stammte von einer Fledermaus. Nicht alle Töne dieser Tiere lägen im Ultraschallbereich, erklärt der Ranger. Später im Jahr werden es Hirsche sein, die die Geräuschkulisse dominieren: "Da wirst du eingeröhrt."

Die alten Römer wussten es schon

Die Vermittlung von Wissen über die Donauauen, wie es die Abteilung für Ökologie und Umweltbildung des NHM betreibt, braucht die richtigen Geschichten. Rosenberger kennt sie alle. "Die Drossel scheißt sich selbst ihr Verderben", wird da etwa ein Sprichwort der alten Römer zitiert, während man im Mannschaftsschlauchboot durch stille Donauarme paddelt, nichtsahnend vom Treiben der Au-Tiere. "Turdus ipse sibi cacat malum." Die Drossel, sie liebt die Mistelbeeren und verbreitet ihre Samen, indem sie sie ausscheidet. Die Römer gewannen aus den Mistelbeeren einen Leim. Mit seiner Hilfe blieben die Tiere am Baum kleben, der römische Vogelfänger brauchte sie nur noch zu pflücken.

Apropos historische Klebemittel: Auch für den Hausen war Leim Teil seines Verhängnisses. Aus der Schwimmblase des Fisches wurde hochwertiger Kleber gefertigt, der Bücher und Instrumente zusammenhält. Früher kam die Stör-Art weit herauf auf der Donau. Zur Zeit Maria Theresias sei ein Fang eines 4,70 Meter langen Tiers mit mehr als 400 Kilo belegt, erzählt Rosenberger.

Fisch-Aufzüge für Staustufen

Regulierungen und Staustufen beendeten aber die Wanderungen. Die Gier nach den Eiern der Tiere, Kaviar, hat die Störe auch im Schwarzen Meer an den Rand der Existenz gedrängt. Pläne, den Fischen die Überquerung der Staustufen über spezielle Wasseraufzüge wieder zu ermöglichen, harren ihrer Umsetzung, erklärt der Ranger. Lediglich der Sterlet, ein kleinerer Verwandter, ist in der Donau noch anzutreffen.

Der Ranger könnte noch so einiges über die Au erzählen. Von eingeschleppten Pflanzen, unachtsam freigelassenen Tieren, die die Bestände der Au, darunter die berühmte Sumpfschildkröte, gefährden. Von Schwänen, die ihr Nest beschützen und nach dem Wildschwein vielleicht die gefährlichsten Tiere der Au seien. Ein Schwimmer mit gebrochenem Jochbein könne ein Lied davon singen. Oder vom Ölkäfer, der theoretisch eine ganze Schulklasse ausrotten könnte - vorausgesetzt, die Schüler würden ihn aufteilen und essen. Es gibt den Hundsfisch, ein kleiner Verwandter des Hechts, der mit seiner Schwimmblase atmosphärische Luft atmen kann. Oder den Schlammpeitzger, der ebenfalls über eine eigenwillige Atemmethode verfügt- über den Enddarm. Der Naturführer nennt ihn "Arschatmer".

Klimawandel in der Au

Und Rosenberger kann von seiner eigenen Spezies erzählen, von den Rangern, von denen er und einige weitere bereits Anfang der 1980er-Jahre bei der Bürgerinitiative gegen den Hainburger Kraftwerksbau dabei waren. Heute haben sie auf den 93 Quadratkilometern des Nationalparks Donauauen Polizeigewalt und werden etwa gerufen, wenn ein Möchtegernjäger mit "rotem Stirntuch und Compoundbogen" gesichtet wird.

Obwohl in der Au die Natur weitgehend ihre eigenen Wege gehen darf, steht auch dort die Zeit nicht still. Der Klimawandel, der die Tümpel austrocknen lässt, und eingeschleppte Krankheiten dezimieren den Amphibienbestand, der ein wichtiger Teil vieler Nahrungsketten ist. Der Schiffsverkehr des Twin City Liners vermindere laut dem Ranger die Zahl der Fische in der Donau. Die Fertigstellung des Alpen-Karpaten-Korridors, der eine freie Bewegung der Wildtiere etwa über Autobahnbrücken ermöglicht, harrt der Fertigstellung. Der Nationalpark selbst könnte durch Zukäufe vergrößert werden.

Und ginge es nach Rosenberger, käme zu der vorhandenen Tschaike der Nachbau eines weiteren historischen Schiffes, eines römischen Patrouillenbootes, dazu. So oder so werden neue Geschichten über den 1984 gerade noch vor dem Kraftwerksbau geretteten Lebensraum dazukommen. Die Ranger und Naturpädagogen werden sie weiterhin erzählen, in Schlauchbooten, zwischen röhrenden Hirschen und während nächtlicher Froschkonzerte. (Alois Pumhösel, 18.6.2014)