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Hält Juncker (rechts) für ungeeignet: Premierminister David Cameron (links).

Foto: APA/EPA/Roge

Vor dem EU-Gipfel, der über den neuen Kommissionspräsidenten entscheiden soll, gibt sich der britische Premier David Cameron kampfeslustig. Zwar hält man in London die Kür des Luxemburger Ex-Regierungschefs Jean-Claude Juncker für ausgemacht. Weil dieser aber über britische Parteigrenzen hinweg als ungeeignet gilt, die nötigen Reformen in Brüssel energisch voranzutreiben, will Großbritannien sich dem üblichen Konsensverfahren verweigern.

Bei seinen Gesprächen mit EU-Ratspräsident Hermann van Rompuy am heutigen Montag in London wollte Cameron daher eine offene Wahl im Kreis der 28 Staats- und Regierungschefs vorschlagen, hieß es am Wochenende in der Downing Street. Der Konservative wolle "mehr Macht für das EU-Parlament durch einen Deal im Hinterzimmer" verhindern.

Vorschlagsrecht

Juncker war bei der Europawahl im Mai Spitzenkandidat der konservativen EVP. Zwar verloren viele der 73 Parteien, die zu dem Parteibündnis gehören, erheblich an Stimmen, die EVP bleibt aber im Brüsseler Parlament stärkste Fraktion. Daraus leiten viele EU-Parlamentarier und EVP-Funktionäre ein Vorschlagsrecht auf den EU-Kommissionsvorsitz ab - eine Vorstellung, der sich Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel nach langem Zögern und auf Druck führender deutscher Medien anschloss.

Damit erwies sich wieder einmal Camerons Vertrauen als verfehlt, sein enges persönliches Verhältnis zur Berliner Machthaberin werde politische Früchte tragen. "Sie hat eine ganze Anzahl von Prioritäten", weiß Charles Grant vom Londoner Thinktank CER. "David Cameron bei der Stange zu halten ist nur eine davon." Offenbar hat sich Cameron mit seiner kaum verhüllten Drohung, die Wahl Junckers werde "Großbritanniens Austritt aus der EU" wahrscheinlicher machen, im Kreis der Kollegen keinen Gefallen getan.

Welch schwierigen Balanceakt der Chef einer konservativ-liberalen Koalition vollführen muss, bewies am Sonntag der Brief von vier Dutzend Bankern und Geschäftsleuten in der Sunday Times: Cameron müsse die City of London besser gegen neue Vorschriften aus Brüssel schützen.

Namentlich erwähnen die Unterzeichner, deren Firmen insgesamt eine Million Menschen beschäftigen, die Einführung der Finanztransaktionssteuer, die Direktive zur besseren Regulierung von Fondsmanagern, das Verbot von Leerverkäufen sowie die Begrenzung von Bonuszahlungen: Damit würde Großbritanniens Wettbewerbsfähigkeit untergraben. Zu den Wortführern der Initiative zählt der frühere Tory-Finanzminister Norman Lamont.

Das Mitglied des Oberhauses kämpft seit 20 Jahren ebenso für den EU-Austritt wie eine Reihe konservativer EU-Abgeordneter. Gegen den ausdrücklichen Willen des Parteichefs erlaubten die Brüsseler Tories die Aufnahme der euroskeptischen Alternative für Deutschland (AfD) in ihre Fraktion im Europaparlament - ein Affront gegen CDU-Chefin Merkel, die den Austritt der Tories aus der EVP-Fraktion vor fünf Jahren nicht vergessen hat. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 23.6.2014)