Gummiparagraf nennt man gemeinhin einen Gesetzestext, der so schwammig formuliert ist, dass ihn Exekutive und Justiz zur Hand nehmen können, wenn sie sonst nicht wissen, was sie machen sollen. Derzeit besonders beliebt in dieser Hinsicht: der Landfriedensbruch. Bietet der doch die Möglichkeit, bei gewalttätigen Demonstrationen – oder der Stürmung eines Fußballplatzes – gleich alle anzuzeigen, die man irgendwie erwischt.

Jüngstes Beispiel: Die Randalen bei den Demonstrationen gegen den Akademikerball im Jänner, bei denen es zu Körperverletzungen und massiven Sachbeschädigungen gekommen ist. Drei Viertel der knapp 700 Anzeigen beziehen sich nämlich nicht auf konkrete Täterinnen und Täter, sondern auf Menschen, die anwesend waren.

Schwieriger freiwilliger Rückzug

Dem grünen Justizsprecher Albert Steinhauser ist recht zu geben, wenn er das kritisiert. Auch wenn abzuwarten bleibt, wie Staatsanwaltschaft und die Gerichte die Sache im Endeffekt beurteilen, ist der Paragraf selbst freihändig anwendbar. Straffrei bleibt nämlich nur, „wer sich freiwillig aus der Zusammenrottung zurückzieht oder ernstlich zurückzuziehen sucht, bevor sie zu einer Gewaltanwendung geführt hat“.

Bei einer Demo mit hunderten Teilnehmern, die von der Polizei eingekesselt wird, scheint das recht schwierig zu sein. Ein Teil der Protestierenden hat möglicherweise noch gar nicht mitbekommen, dass irgendwo Polizisten attackiert oder Scheiben eingeschmissen werden. Und möchte man damit nichts zu tun haben, kommt man an der exekutiven Kette nicht mehr vorbei.

Gut, man kann auch argumentieren, dass man bei vielen Demos schon am Beginn viel Geld auf jene Personen wetten kann, mit denen es Probleme geben wird. Aber dann sollte die Polizei bitte diese im Auge behalten und nicht einen Gummiparagrafen überdehnen. (Michael Möseneder, DER STANDARD, 23.06.2014)