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Auch wenn in den EU-Ländern nach dem jüngsten Kappen der Gaslieferungen an die Ukraine Anfang vergangener Woche nichts geschehen ist: Die Angst sitzt dennoch tief.

Foto: AP/Sergei Chuzavkov

Wien/Brüssel/Moskau - Kohlenwasserstoffe flüchten aus Russland und werden im Westen Europas freudig in Empfang genommen. So könnte man die Energiebeziehung Russland-Europa auf den Punkt bringen. Das ist seit 46 Jahren so, nicht erst seit den jüngsten (blutigen) Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine.

Österreich war 1968 das erste Land außerhalb des kommunistischen Wirtschaftsblocks Comecon, wohin Gasmoleküle aus dem fernen Sibirien über eine bis Baumgarten (NÖ) verlängerte Pipeline strömten. Was selbst in Zeiten des Kalten Krieges klaglos funktioniert hat - die Versorgung westlicher Haushalte und Unternehmen mit russischem Gas - ist so sicher nicht mehr. Auch wenn in den EU-Ländern nach dem jüngsten Kappen der Gaslieferungen an die Ukraine Anfang vergangener Woche nichts geschehen ist: Die Angst sitzt dennoch tief.

"Wir sind in einer anderen Situation als 2006 (Russland hat erstmals den Gashahn Richtung Ukraine zugedreht, Anm.) und 2009 (neuerliche Gassperre mit Folgen auch in anderen Ländern, Anm.): Die Ukraine ist jetzt ein potenzieller Freund, der unterstützt gehört, kein Land, das man umgehen soll", brachte es Simon Blakey von Eurogas bei einem Energieseminar in Brüssel auf den Punkt. Eurogas ist die Interessenvertretung der europäischen Gasindustrie. Die Organisation rühmt sich erstklassiger Kontakte zu Russland.

Geänderte Situation nach Krise

In der Tat ist nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland und die Entwicklungen im Osten der Ukraine ein politisches Momentum dazugekommen, das eine Lösung erschwert. Der Europäische Rat Ende dieser Woche in Brüssel wird aller Wahrscheinlichkeit nach beschließen, Stresstests für die Gasnetze durchzuführen, und das möglichst zeitnah

In der österreichischen Regulierungsbehörde E-Control geht man davon aus, dass die EU-Kommission bereits Anfang Juli Anfragen an die einzelnen Mitgliedsländer schickt. Dabei wird länderweise zu klären sein, woher das Gas kommt, wieviel wann und wo verbraucht wird inklusive Simulation verschiedener Szenarie - von einem partiellen bis zu einem totalen Ausfall von Lieferungen kurz-, mittel- und längerfristig.

Anschließend werden die Ländererhebungen, in die auch Fernleitungsnetzverantwortliche (in Österreich etwa von Gas Connect Austria oder Trans Austria Gasleitung TAG) und Speicherbetreiber (OMV, RAG) eingebunden werden, von Brüssel auf deren Plausibilität hin überprüft. Auf Basis dieser Analyse, die im Herbst vorliegen wird, soll es dann so rasch wie möglich an die Behebung der Schwachstellen gehen.

Russland umgeht Ukraine

Russland hat jedenfalls schon vor Jahren begonnen, die Ukraine bei den Gastransporten Richtung Westen großräumig zu umgehen. Nach der Blue-Stream-Pipeline, durch die seit 2003 bis zu 16 Mrd. m3 Gas pro Jahr am Boden des Schwarzen Meeres Richtung Türkei strömt, wurde im Herbst 2011 die North-Stream-Leitung in Betrieb genommen.

Der russische Konzern Gasprom kann die Ostseepipeline allerdings nur beschränkt nutzen, weil die EU den Weitertransport zum Teil unterbindet. Nach geltendem EU-Recht kann Gasprom die OPAL (Ostsee Pipeline Anbindungsleitung), durch die Russengas nach Mitteleuropa weiterbefördert wird, nur zu 50 Prozent nutzen; die verbleibenden 50 Prozent sollen interessierten Dritten offen stehen. Im Ernstfall sei aber durchaus denkbar, dass Brüssel eine Ausnahme bewilligt, sodass mit einem Schlag zusätzlich 18 Mrd. m3 Erdgas nach Mitteleuropa und bei Bedarf über Tschechien und die Slowakei weiter in die Ukraine gelangen könnten.

Schließlich South Stream. Schon vor fünf Jahren sei von Seiten Gasproms die Befürchtung geäußert worden, in der Ukraine könne es zu einem Bürgerkrieg kommen. Seither trete Russland massiv für den Bau der Leitung ein, war in Brüssel dieser Tage zu hören. Für Europa könnte das freilich teuer werden, verlöre die Ukraine doch sämtliche Einnahmen aus dem Gastransit. (Günther Strobl, DER STANDARD, 26.6.2014)