Wo heute Wüste ist, befand sich im Ediacarium vor 550 Millionen Jahren ein flaches Meer. Diese Gesteinsformation in Namibia konservierte einen Quantensprung in der Evolution der Tiere: die vermutlich erste Bildung eines Riffs.

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Edinburgh - Wer das Wort "Riff" hört, ergänzt in Gedanken automatisch "Korallen". Aus gutem Grund, denn diese Verknüpfung hat eine beeindruckende Tradition: Korallen zählen nicht nur zu den ältesten Tiergruppen, sie bilden auch seit einer halben Milliarde Jahre Riffe. Und das ist sogar nach den Maßstäben der Evolution ein gewaltiger Zeitraum.

Doch das vielzellige Leben ist älter – und offenbar ist es das Phänomen der Riffbildung durch Tiere auch, wie eine nun im Fachmagazin "Science" publizierte Studie zeigt. Die Baumeister dieser frühen Riffe geben allerdings Rätsel auf.

Lange Zeit galt die sogenannte Kambrische Explosion vor 542 Millionen Jahren gewissermaßen als Startschuss für das Leben in seiner heutigen Form. Fast alle heutigen Tierstämme schienen sich damals binnen kurzer Zeit wie aus dem Nichts zu entwickeln. Heute weiß man, dass diese Revolution eine beträchtliche Anlaufzeit hatte.

Als das Leben hart wurde

Die Tierwelt dieses vorgelagerten Zeitalters, des Ediacariums, zeichnete sich dadurch aus, dass ihr zunächst noch sämtliche harten Körperteile wie Schalen oder Stacheln fehlten. Erst im späten Ediacarium kam es erstmals zur Ausbildung von mineralisierten Skelettteilen.

Genau in diesen entscheidenden Abschnitt der Evolution fallen die Funde, die Forscher um Amelia Penny von der Universität Edinburgh in Namibia gemacht haben. Sie stießen auf die versteinerten Reste eines etwa 548 Millionen Jahre alten Riffkomplexes von sieben Kilometern Länge und 300 Metern Dicke.

Die Baumeister dieses Ur-Riffs konnten identifiziert werden: Cloudina, millimeterkleine trichterförmige Wesen, die aufeinander aufbauend wuchsen und deren Fossilien winzigen Becherstapeln ähneln. Damit hört das Wissen aber auch schon wieder auf. Denn wie bei den meisten Vertretern der Ediacara-Fauna weiß man auch bei den einst weltweit verbreiteten Cloudina nicht, ob sie mit irgendeiner der heutigen Tiergruppen verwandt waren.

Ihre Skelettteile miteinander zu verbinden und Riffe zu bilden, brachte den Cloudina jedenfalls klare Vorteile: unter anderem besseren Schutz vor Räubern und Naturgewalten. Zudem war das Riff offenbar so ausgerichtet, dass nährstoffreiche Meeresströmungen optimal ausgenutzt werden konnten, wenn die Cloudina das Wasser filterten.

Die gleichen Umstände veranlassten später auch andere Tiergruppen wie Korallen oder Muscheln zur Riffbildung. Die Cloudina-Riffe waren eine Pionierleistung der Evolution - und zeigen einmal mehr, wie oft diese auf ganz unterschiedlichen Wegen immer wieder zu ähnlichen Lösungen kommt. (Jürgen Doppler, DER STANDARD, 27.6.2014)