Lernen Sie die Hymne: Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hoseks Fingerzeig hatte Folgen.

Foto: Social Media Facebook Heinisch-Hosek Sreenshot

Wien - Es war dann wohl weniger eine "Lernhilfe" für Andreas Gabalier als eine für Social-Media-aktive Politiker, aber auch die Beobachter der Szene: Mit nur einem Posting zur Debatte um die Bundeshymne, in der laut Gesetz die "Söhne und Töchter" des Landes zu besingen sind, handelte sich Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) einen "Shitstorm" von enormem Ausmaß ein.

Zwischen vergangenem Donnerstag und Montag dieser Woche schwoll der Kommentarfluss unter Heinisch-Hoseks virtueller Zettelaktion (siehe Screenshot rechts) auf fast 18.000 Kommentare an, darunter übelste Beschimpfungen und Morddrohungen.

Wer lieb ist, kriegt "Likes"?

Was war passiert? Wieso ging dieses Ding aus dem Nichts durch die Decke? Was tun? Ducken und hoffen, dass das digitale Stahlgewitter weiterzieht? In Zukunft nur noch liebe Bilder mit Schulkindern ins "Gesichtsbuch" kleben und auf "Likes" hoffen? Generell bei politischer Kommunikation auf Facebook und andere riskante Socia-Media-Tools verzichten?

Vom Standard befragte Experten betonen vorab einen Punkt, der eine - vermutlich unterschätzte - Startrampe für den anschwellenden Shitstorm war. "Die Ausgangslage derzeit ist: Politiker sind in der öffentlichen Meinung unten durch. In diesem Kontext wird Humor der Politik schon gar nicht verziehen", sagt Agenturchef Dietmar Ecker, der als ehemaliger Sprecher von Ex-Finanzminister Ferdinand Lacina weiß, wie man Politiker kommunikationstechnisch durch die Welt lotst.

Auch PR-Beraterin Heidi Glück, vormals Sprecherin und Beraterin von Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel, glaubt, dass Heinisch-Hosek "Opfer einer allgemeinen Grundstimmung wurde, die sich im Moment sehr gegen Politiker richtet - was aber nicht die Hasspostings rechtfertigt." Die Hymne sei nur ein Ventil gewesen, glaubt Glück: "Der allergrößte Teil der Poster hat sich mit der grundsätzlichen Frage gar nicht beschäftigt."

Es sei "eher der Begleittext gewesen, der eine enorme Welle ausgelöst hat", vermutet sie. Von wegen "kleine Lernhilfe". Dazu noch die Fingerzeig-Variante, die - trotz berechtigten Anliegens, so Glück, es gebe nun mal einen Nationalratsbeschluss - "etwas sehr Oberlehrerhaftes hat". Fertig war der Stoff, aus dem die Empörung vieler Fans des Volks-Rock-'n'-Rollers gewebt sei. Die setzten sich dann in Bewegung Richtung Heinisch-Hosek-Seite - und schon gab es Shit-Sturmwetterlage. "Wir beschützen unseren Star vor einer Ministerin", sagt Glück: "Die haben das als Angriff empfunden."

Es war eine David-Goliath-Konstellation, in die Heinisch-Hosek damit geraten war. Kommunikationsexperte Rudolf Fussi sprach von einer Reichweite von mehreren hunderttausend Facebook-Usern. Hier der musikalische Publikumsliebling mit fast 350.000 "Likes" auf seiner Facebook-Seite, da die SPÖ-Politikerin, die bisher recht ungefährdet unter dem Radar einer größeren Öffentlichkeit geflogen ist. Und es bis Montag, unter Einrechnung einiger mutmaßlich aktueller Solidaritäts-" Gefällt mir"-Klicks auf knapp 7000 Fans brachte. FPÖ-Chef Heinz- Christian Strache, der diesen Kommunikationsweg sehr systematisch betreut und bedient, hat mehr als 205.000 Anhänger.

Heinisch-Hosek war damit unversehens "mit einer anderen Zielgruppe als sonst" konfrontiert, erklärt Glück. Ihre natürlich auch absichtsvoll provokante Botschaft richtete sich ab da nicht mehr nur an frauenpolitisch affine Bürger, die sie üblicherweise auf ihrer Seite wähnt, sondern plötzlich lasen viele mit, die die Welt ganz anders sehen, ja, eine ganz andere Agenda verfolgten und in zum Teil grenzwertigen bis jenseitigen Kommentaren - mit den Morddrohungen befasst sich die Staatsanwaltschaft - dokumentierten.

Vorsicht vor Zensur

Was also tun im Zentrum eines Shitstorms? Social-Media-Experte Fussi, selbst hochaktiver Twitterer, riet Heinisch-Hosek, wie er in seinem Blog auf rudifussi.at schreibt, zu "Rein mit offenem Visier in den Kampf". Er hätte sie in dieser Situation in einem Video ein paar der Hass-Tweets vorlesen und fragen lassen, ob die Pöbler auch die eigene Frau, Mutter, Tochter oder Oma als "Fotze" oder "Trampel" anreden würden.

Medienprofi Ecker meint, in so einer Akutphase eines Shitstorms "kann man nicht viel gewinnen", aber noch immer etwas falsch machen. Etwa den Kurzschluss, von dieser Grenzüberschreitergruppe auf die gesamte Stimmung in der Gesellschaft zu schließen: "Das ist ein Ventil." Und, großer Fehler: "Nicht die Community beleidigen oder durch Zensur eine Demokratiedebatte anfangen. Die Foren haben sich zu einem Demokratiemodell für die Community entwickelt. Wer nicht gut reagiert, vergrößert den Frust noch mehr." Es sei aber auch wichtig, dass "in den Medien der Stil dieser Postings reflektiert wird", betont Ecker.

Politikwissenschafter Peter Filzmaier vom Institut für Strategieanalysen rät, die Sache nicht nur auf einen Sprachschönheitswettbewerb oder Politcal-Correctness-Award zu reduzieren, sondern den politischen Kern zu sehen. "Diese Leute sind nun mal da. Hat die Politik gegen dieses Phänomen überhaupt ein Rezept? Man muss ja das Phänomen, diese Wut dieser Leute, beseitigen." Soziale Medien seien nur ein Kanal, über den sich diese Leute auskotzen würden: "Es geht schnell und senkt die Hemmschwellen."

Warum so extrem ungehemmt? Filzmaier erklärt diese Ausbrüche auch damit, "dass es Themen gibt, wo die Differenz zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung besonders groß ist - und wir hoffen auf die Schweigespirale." Diese Hoffnung könnte für die Social Media aber vergeblich sein.

Euer Schweigen kotzt uns an

Das in den 1970ern von Elisabeth Noelle-Neumann entwickelte Konzept der öffentlichen Meinung geht davon aus, dass eine wahrgenommene Mehrheitsmeinung in bestimmten Fällen eine entscheidende Rolle spielt, ob sich Menschen öffentlich zu ihrer Meinung bekennen. Wo es in traditionellen Medien Konsens gebe, dass etwa Sexismus, Rassismus oder Homophobie keinen Platz haben, würden sich in sozialen Medien "umso schärfere Gegenöffentlichkeiten formieren", die das andernorts "Verschwiegene" dort umso radikaler formulieren. Motto: Wenn ihr es nicht schreibt, dann sagen wir es hier!

Und was, wenn sich der Shitstorm beruhigt hat? Dietmar Ecker empfiehlt den Rat des deutschen Grün-Abgeordneten Volker Beck, der sagte: "Einmal kurz abschütteln und weitermachen." (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 1.7.2014)