Nach der Entführung und Ermordung von drei Jugendlichen ringt Israel wieder einmal um eine Entscheidung darüber, was die "angemessene" Reaktion auf einen Terrorakt ist, der als außergewöhnlich empfunden wird. Manche meinen, man sei dadurch in eine neue Phase eingetreten, in der "neue Spielregeln" gegen die Hamas angewendet werden müssten. Andere warnen davor, mit kochendem Blut vorschnelle Entscheidungen zu treffen: "Das Herz schreit, aber wir müssen kaltblütig handeln", wurde Justizministerin Zipi Livni aus der Debatte im Sicherheitskabinett zitiert. Im kollektiven Gedächtnis ist dabei etwa der Juli 2006, als die Verschleppung von zwei israelischen Soldaten in den Libanon zu einem hastigen israelischen Einmarsch und einem blutigen Schlagabtausch mit der Hisbollah führte.

In der jetzigen Krise hört man zwar wieder die üblichen kämpferischen Töne, beide Seiten signalisieren aber, dass sie an einem Abenteuer nicht interessiert sind. Niemand rechnet ernsthaft damit, dass Premier Benjamin Netanjahu etwa Bodentruppen in den Gazastreifen schickt und damit Raketen auf Tel Aviv riskiert.

Die Hamas ist gerade jetzt wirtschaftlich und politisch in einer derart schwachen, isolierten Position, dass sie besser nicht zu auffällig werden sollte. In den Turbulenzen des Arabischen Frühlings sind ihr die Sponsoren abhandengekommen. Der Iran hat ihr den Rücken zugekehrt, als die Hamas gegen den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad Partei ergriffen hat. Und Ägypten ist ein unbequemer Nachbar und blockiert die Nachschubkanäle in den Gazastreifen, seit die kurze Blüte der Muslimbrüder wieder vorüber ist.

Gerade diese Schwäche war wohl der Hauptgrund dafür, dass die Hamas im April in die innerpalästinensische "Aussöhnung" eingewilligt und formal auf die von ihr gestellte Regierung im Gazastreifen verzichtet hat. Noch ist nicht bekannt, ob die Entführung der drei israelischen Religionsschüler auf Befehl der obersten Hamas-Führung erfolgte oder die Initiative einer lokalen Zelle im Raum Hebron war.

Entspricht dem Geist der Hamas

Ganz eindeutig entspricht die Tat aber dem Geist der Hamas und konnte daher von der Führung auch nicht kritisiert werden. Immer wieder haben Hamas-Politiker in der Vergangenheit Entführungen als legitimes Mittel bezeichnet, um palästinensische Häftlinge freizupressen.

Sehr wohl kritisiert wurde die Entführung hingegen von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, den die Partner nur einen Monat nach der "Aussöhnung" in eine peinliche Situation gebracht haben. Dabei wurde diese "Aussöhnung" ja noch gar nicht wirklich umgesetzt. Man hat zwar einvernehmlich eine neue Expertenregierung gebildet, aber in der Alltagspolitik hat man unterschiedliche Ziele und hält an den eigenen Machtpositionen fest.

Gerade in der Entführungsaffäre hat Abbas' Polizei die Israelis unterstützt, was eine innere Logik hat, denn Abbas muss jedes Interesse daran haben, dass die Hamas im Westjordanland nicht zu stark wird. Und die Suche wurde von den Israelis auch dazu benützt, um die Hamas zu beschädigen - etwa durch die Wiederverhaftung von Terroristen, die 2011 im Tausch gegen den verschleppten Soldaten Gilad Shalit freigekommen waren. Die Entführung markiert jetzt vielleicht den Anfang vom Ende der "Aussöhnung", weil Abbas - will er sein Ansehen bewahren - mit einer Gruppe, die Teenager entführt und ermordet, nicht zusammenarbeiten kann. (Ben Segenreich, DER STANDARD, 2.7.2014)