Das junge Forschungsgebiet der MicroRNAs hat Potenzial für eine ganze Reihe medizinischer Anwendungen.

Foto: Tamirna

Wien - Obwohl sie einen bedeutenden Anteil an der Entwicklung der Zellen in einem Organismus haben, sind ihnen Wissenschafter erst seit wenigen Jahren auf der Spur: MicroRNAs, kurzkettige Ribonukleinsäuren, sind Teil der epigenetischen Kontrolle und bestimmen mit, welche DNA-Informationen eine Zelle verwertet und welche unangetastet bleiben. "Das ganze Buch unseres Erbmaterials ist in jeder unserer Zellen gespeichert. Die MicroRNA bestimmt neben anderen Faktoren mit, welche Kapitel wann von welchen Zellen gelesen werden", erklärt Matthias Hackl, Biotechnologe und einer der Gründer des Wiener Life-Science-Start-ups Tamirna.

Gemeinsam mit seinen Kollegen will sich Hackl im Rahmen des Unternehmensprojekts die Funktionsweisen von MicroRNAs zunutze machen, um verschiedene Krankheiten früher erkennen und besser behandeln zu können. Eine Geschäftsidee, die Tamirna bereits eine Förderung aus dem Preseed-Programm des Austria Wirtschaftsservice (AWS) einbrachte.

Üblicherweise ist die Ribonukleinsäure etwa dafür zuständig, Geninformation durch Kodierung in Proteine zu übertragen. MicroRNAs gehören allerdings zu den nichtkodierenden Vertretern. Sie unterdrücken die Übertragung von Geninformationen.

Die kurzen RNA-Stücke mit ihrer besonderen Funktion wurden erst in den 1990er-Jahren erstmals beschrieben. 2006 erhielten die US-Forscher Andrew Z. Fire von der kalifornischen Stanford University und Craig C. Mello von der Massachusetts Medical School in Worcester den Nobelpreis für Medizin für ihre Entdeckung der gezielten Unterdrückung der Genexpression, der sogenannten RNA-Interferenz.

Tamirna setzt auf diesen Pionierleistungen auf. Wir wollen besser verstehen, wie Zellen altern", erklärt Matthias Hackl. "Erst seit kurzem weiß man, dass die MicroRNAs auch aus den Zellen hinausgeschleust werden. Wir wollen untersuchen, ob diese sogenannte Sekretion mit der Entstehung von Krankheiten zusammenhängt."

Experimente von Forschern der Standford University an Mäusen hätten gezeigt, dass es Stoffe im Blutkreislauf junger Tiere gibt, die das Regenerationspotenzial bei alten Tieren verbessern können. "Wir sind der Meinung, dass bestimmte MicroRNAs dabei eine wichtige Rolle spielen, und sind dabei, sie zu identifizieren."

Gefunden haben die Forscher von Tamirna etwa bereits 80 verschiedene MicroRNAs - insgesamt sind beim Menschen bisher etwa 2000 bekannt -, die im Blutserum von älteren Menschen vorhanden sind und die Bildung von Knochenzellen aus Stammzellen beeinflussen. Hackl und seine Kollegen wollen testen, ob sich diese MicroRNAs für die Diagnose von Knochenkrankheiten verwenden lassen.

"Verändert sich das Vorkommen der MicroRNAs, wenn Leute an Osteoporose erkranken? Kann man vielleicht sogar Veränderungen in den MicroRNA-Levels feststellen, bevor man die Osteoporose mit konventionellen Diagnosemethoden wie Knochendichtemessungen oder Röntgen feststellen kann? Das sind die Fragen, mit denen wir uns beschäftigen", erklärt Hackl. "Eine entsprechende Risikovorhersage könnte im Zuge einer personalisierten Medizin bei vielen Menschen schwerwiegende Frakturen verhindern."

Außerdem versuchen die Wissenschafter mithilfe der MikroRNAs, auch die Knochenbildung selbst zu ändern. "Wir testen im Tierversuchsmodell, die MikroRNAs, verbunden mit einem biologischen Klebstoff, direkt in den Knochen einzubringen", erklärt Hackl. "Bei sehr schweren Frakturen könnte damit die Knochenheilung beschleunigt werden." Neben dieser lokalen therapeutischen Verwendung sei es zudem möglich, die helfenden Molekülketten einfach in den Blutkreislauf zu injizieren, um die Knochenbildung im ganzen Skelett zu verbessern.

Die Entwicklungsarbeit von Tamirna befindet sich noch in einem präklinischen Stadium. Bis alle klinischen Phasen durchlaufen sind und aus den Forschungen zugelassene Diagnose- oder Therapiemethoden werden, vergehen noch einige Jahre. Fördertöpfe und Auftragsforschung werden nicht reichen, um die aufwändige Forschungsarbeit zu finanzieren.

Start-up gründet Start-up

Zu den Gründern gehören neben Hackl Geschäftsführer Otto Kanzler sowie Regina und Johannes Grillari, die an der Wiener Universität für Bodenkultur (Boku) eine Arbeitsgruppe zur Altersforschung auf zellulärer und molekularer Ebene betreiben. Sie wollen sich nicht von externen Investoren und ihren Interessen abhängig machen. Dafür soll der Erfolg einer anderen jungen Boku-Ausgründung namens Evercyte sorgen.

Das seit 2011 bestehende Unternehmen, ebenfalls eine Gründung der Grillaris und Otto Kanzlers, bietet sogenannte immortalisierte Zellen an, die etwa die Entwickler von Kosmetika oder Medikamenten unabhängig von Haut- oder Nierengewebe von Spendern machen. Normale Körperzellen können sich nur beschränkt oft teilen, im Labor können sie aber so manipuliert werden, dass sie sich immer wieder vermehren, also immortalisiert sind.

Evercyte, das "nach einem Jahr positiv" war, soll neue Gründungen wie Tamirna mitfinanzieren, erklärt Hackl, der selbst sieben Jahre Teil verschiedener Boku-Forschungsgruppen war, in denen die wissenschaftlichen Grundlagen für die Start-ups geschaffen wurden. Das Credo der Gründer sei "kein Ferrari, dafür Investitionen in riskantere Projekte, um die personalisierte Medizin voranzutreiben". (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 2.7.2014)