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Ein von kurdischen Peshmerga gehaltener Checkpoint in Tuz Khurmato in der Provinz Salahuddin: Die Kurden füllten das von der irakischen Armee hinterlassene Vakuum.

Foto: REUTERS / Ahmed Jadallah

Erbil/Bagdad/Wien - Die Linie der kurdischen Regionalregierung im Nordirak - formuliert bei einem Besuch von kurdischen Offiziellen in Washington - ist erst einmal folgende: Man werde sich der Teilnahme an einer nationalen irakischen Regierung nicht verschließen, aber nur unter der Voraussetzung, dass Bagdad die neuen Tatsachen anerkennt. Diese bestehen darin, dass die Kurden nun Kirkuk und andere als "umstritten" geltende Gebiete kontrollieren. Gleichzeitig behält sich die kurdische Regionalregierung auch ihr Recht auf Selbstbestimmung vor: Regionalpräsident Massud Barzani hat ja angekündigt, ein Referendum über die kurdische Unabhängigkeit abhalten zu wollen.

Dessen Ergebnis ist leicht vorauszusehen. Ob die Kurden aber wirklich diejenigen sein werden, die das Ende des nach dem Ersten Weltkrieg gegründeten irakischen Staats besiegeln, bleibt zu sehen. Manche halten die kurdische Position für taktisch. In Bagdad steht nicht nur die Regierungsbildung an, auch die Präsidentschaft, die im Moment mit dem (arbeitsunfähigen) Jalal Talabani ein Kurde innehat, ist neu zu vergeben. Viele Sunniten wollen sie wiederhaben; der erste irakische Präsident nach Saddam Hussein, Ghazi al-Yawer, war ebenfalls Sunnit.

Die Kurden haben Bagdad, mit dem sie über Jahrzehnte im Überlebenskampf lagen, gewiss nichts zu verdanken. Aber einfach ist eine Zukunft als Binnenland zwischen Nachbarn, die einem Kurdenstaat skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen, auch nicht.

Obwohl sich in dieser Hinsicht insofern einiges verändert hat, als die Türkei heute gute Kontakte zum autonomen irakischen Kurdistan hat - vor dessen Einfluss auf die eigenen Kurden sie sich früher so sehr fürchtete. Das ist einerseits einem regen Wirtschaftsaustausch zu danken, andererseits liegt es in den schlechten Beziehungen Ankaras zum irakischen Premier Nuri al-Maliki, nicht zuletzt wegen dessen Syrien-Politik, begründet.

Versäumtes Referendum

In dem zwischen Arabern und Kurden umstrittenen territorialen Streifen, in dem auch die gemischt kurdisch-arabisch-turkmenische Stadt Kirkuk liegt, sollte laut irakischer Verfassung bis 2007 ein Referendum über die Zugehörigkeit abgehalten werden. Bei der schwierigen Regierungsbildung 2010 machte Maliki den Kurden wieder entsprechende Zusagen, die er nie einhielt. Die Kurden nützten die Gunst der Stunde, als die irakische Armee Anfang Juni vor den Jihadisten der Isis und deren sunnitischen Verbündeten floh, und rückten in die Gebiete vor. Die kurdischen Peshmerga schützen sie vor der Isis - aber nicht im Namen des irakischen Zentralstaats.

Die USA vertreten weiterhin die Einheit des Irak. Einen Fürsprecher haben die Kurden in Israels Premier Benjamin Netanjahu, der kürzlich sagte, die Kurden würden einen unabhängigen Staat "verdienen". Die Vertreterin Erbils in London, Bayan Abdul Rahman, betonte daraufhin in einem Reuters-Interview, dass es keine Beziehungen zwischen Erbil und Israel gebe: Für die kurdische Regionalregierung gelte die irakische Außenpolitik. Theoretisch ist man mit Israel in Kriegszustand. Und der Kurde Hoshyar Zebari ist irakischer Außenminister.

Netanjahu hat den Kurden tatsächlich eher einen Bärendienst erwiesen: Die Verschwörungstheorie, dass die kurdische Unabhängigkeit ein zionistisches Projekt sei - mit dem Ziel, die (ehemals) starken arabischen Nationalstaaten in ethnisch oder konfessionell definierte Kleinstaaten zu zerschlagen -, bekommt so Auftrieb. Reaktionen im Internet bringen aber auch die verweigerte palästinensische Staatlichkeit auf.

Es gibt unzweifelhaft eine prinzipielle Sympathie in Israel für die Kurden, die - trotz Versprechen, die ihnen im Vertrag von Sèvres 1920 gemacht wurden - die Verlierer der Neuordnung der Region nach der Auflösung des Osmanischen Reiches waren. Die Kurden verübelten Israel jedoch, dass es in den 1990er-Jahren mit Ankara, damals im harten Kampf gegen die PKK, eine enge militärische Zusammenarbeit einging. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 5.7.2014)