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Shakehands und Witze: Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl (links) begrüßt Wladimir Putin unter Beifall der österreichischen Außenwirtschaft Ende Juni in Wien.

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Hand ab und blutiger Ernst: Protest in Wien gegen den Staatsbesuch des Präsidenten Putin.

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Walter Baier hat in einem Kommentar ("Putin-Besuch: Der Konfrontation folgt Krieg", 1. Juli) seinem Unmut über ihm nicht genehme Berichterstattung Luft gemacht und dabei vielen der sogenannten "Putinversteher" aus dem Herzen geschrieben. Leider haben Argumente dieser Art immer schwere Lücken. Und wiewohl sie sich aufs Erste so flockig und eingängig lesen und sich selbst beständig unterstellen, "realpolitisch" sein zu wollen, handeln sie auf den zweiten Blick mit Verdrehungen, Halb- und Unwahrheiten.

Zunächst sollen Umfragen belegen, wie wohl den Österreicherinnen und Österreichern beim Putinbesuch in Wien war, während die Qualitätsmedien, so Baier empört, einander "mit Kritik überbieten". Man muss sich nicht mit der Frage aufhalten, warum Zeitungs-kommentare mit Umfrageergebnissen oder Mehrheitsmeinungen übereinstimmen sollten. Das soll Walter Baier ruhig selbst und für sich beantworten.

Trotzdem liest man aus Passagen wie diesen das Unbehagen eines Teils der Gesellschaft, die den Konflikt gerne anders analysiert hätten oder, wie sie das sagen, "realpolitisch" - was so viel bedeutet wie putinfreundlich. Und hier wird es doch interessant. Baier beispielsweise meint: "Um zu entdecken, dass es im Kapitalismus ums Geschäft geht, braucht es keine besonderen Erläuterungen. In diesem Fall (Ukraine, Anm.) geht es um etwas anderes, nämlich um die Idee, die Geschäftsbedingungen durch einen Wirtschaftskrieg verändern zu wollen."

Das ist ebenso hübsch formuliert, wie es falsch ist. Es geht nicht um Geschäftsbedingungen und nicht um einen Wirtschaftskrieg. Die Sanktionen sind trotz ihrer ökonomischen Natur ein rein politisches Mittel. Und die Auseinandersetzung wird nicht um eine Pipeline oder ein paar Oligarchenfreundschaften geführt, sondern um die Zukunft der ukrainischen Nation.

Die Rechnung der Gasprom

Dieser Versuch eines Landes, sich unabhängig von der russischen Hegemonialpolitik entwickeln zu wollen, wird vom Lager der Sanktionsgegner konsequent unterschlagen. Aber sind nicht die Ukraine und die dort lebenden Menschen die Hauptsubjekte und -leidtragenden dieses Konflikts? Und ist die Frage der demokratischen Selbstbestimmung einem Volk im 21. Jahrhundert abzusprechen?

Keine Antwort darauf, weder bei Walter Baier noch bei Helmut Schmidt oder Horst Teltschik. Wenn man also einem Volk aufgrund eines übergeordneten Kalküls (kein Konflikt mit Russland) diesen Wunsch untersagen könnte, auf welcher Basis geschähe das? Auf jener des "Völkerrechts unter besonderer Berücksichtigung von Österreichs Außenwirtschaft" etwa? Oder auf Basis des Wirtschaftskämmerer-Witzes vor Putin, dass die Ukraine ja auch einmal zu Österreich gehört habe?

Nun ist ja tatsächlich niemandem abzusprechen, seine wirtschaftlichen Interessen zu verfolgen, aber es wird niemand gezwungen, mit einem Autokraten lustige Witze über ein Land zu reißen, das gerade mit tatkräftiger Mithilfe des Gastes im Bürgerkriegsstrudel versinkt.

Die "Interessen der US-Rüstungs- und Gasindustrie", von denen Baier spricht, sind ebenfalls häufig genannte Argumente derer, die einen Großteil der Schuld an der Eskalation in der Ukraine den USA zuordnen. Leider vergisst gerade dieses Schlagwort, die Interessen der Gasprom und der eurasischen Strategen um Putin zu erwähnen, die täglich und mit weitaus mächtigerer Statur ihre ökonomischen und politischen Ziele in dem Konflikt verfolgen. Nebenbei werden die "kleinen Leute" Europas, die Baier bemitleidet, zunächst einmal die Rechnung der Gasprom bezahlen, wie sie es schon 2006 getan haben. Und das wird auch so bleiben, wenn sich Österreich und andere EU-Staaten aktiv und aus freien Stücken mit der South-Stream-Pipeline in eine weitere Epoche der Abhängigkeit von Russlands Erdgas begeben.

Doch weiter im Baier'schen Text. Denn hier kommt eine auch in anderen Debattenbeiträgen auffällige Volte: "Russland ist eine, so heißt es, nach außen aggressive und nach innen repressive Macht." "So heißt es"? Wenn Baier einmal die Berichte sämtlicher unabhängiger NGOs studieren würde, die in Russland tätig sind, dazu die Berichte der OSZE und des Europarates, könnte er sich derlei Relativierungen sparen. Selbstverständlich ist ein Land, dessen Regierung die Opposition unterdrückt, kritischen Journalismus weitgehend abschafft und Regimegegner als Vaterlandsverräter in der Hauptstadt plakatieren und unter fadenscheinigen Anklagen verurteilen lässt, eine "nach innen repressive Macht". Und selbstverständlich ist eine Regierung, die einen Teil eines anderen souveränen Staates mit Truppen besetzt und annektiert, eine "nach außen aggressive Macht".

Nun gehe es, heißt es weiter, um Europa, und was seinem Frieden nütze oder schade. "Hier allerdings ist das Ergebnis eindeutig: Sanktionen schaden und beinhalten das Risiko einer Eskalation bis hin zum Krieg." Wie muss man sich das nun vorstellen? Zuerst verhängt die EU Wirtschaftssanktionen, und dann greift sie von sich aus zu den Waffen? Oder anders: zuerst EU-Wirtschaftssanktionen, dann greift Russland zu den Waffen?

Sanktionen oder Krieg

Das Szenario ist hanebüchen und setzt den Irrsinn eines der Beteiligten voraus. Dieser Geisteszustand ist aber bei Putin nicht zu erkennen, und schon gar nicht bei der EU. Vor allem verwechselt dieses Argument Sanktionen mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Es ist doch nicht zu bestreiten, dass hinter und vor den Kulissen seit Monaten um Abkommen und eine Deeskalation der Lage gerungen wird, und dass selbst die Separatisten der Ostukraine in Kontakt mit Kiew und Moskau stehen.

Weder Baier noch die anderen Sorgenträger um den Frieden können zudem sagen, wie man anders mit offener (Krim) oder verdeckter (Ostukraine) militärischer Aggression umgehen sollte, wenn nicht mit Sanktionen im wirtschaftlichen Bereich. Natürlich, und das ist das Argument, das hier immer mitschwingt, ginge es auch ganz ohne Reaktion oder Sanktion. Weitermachen, als wäre nichts geschehen. Geschäfte machen, bloß nicht einmischen.

Das meinen Walter Baier und andere vermutlich, wenn sie vom "Dialog" mit Russland sprechen, und sie haben dabei große Teile der österreichischen Wirtschaft hinter sich.

Aber betrachten wir einmal die politische Ebene. Die Nichtreaktion würde die EU auf Jahrzehnte in ihrer Position gegenüber Moskau schwächen. Warum? Jemand, mit dem man alles machen kann, mit dem braucht es gar keinen Dialog. Es genügt der einfache Befehl.

Weiters wird die "immerwährende Neutralität" Österreichs als Motiv für eine betont freundliche Gangart zitiert. Ganz offensichtlich verwechseln die, die so argumentieren, Neutralität mit "immerwährender Willfährigkeit" nach dem Motto: Solange es mich nicht direkt angeht, zeig ich lieber nicht auf - und applaudiere jedem, der nach Wien kommt, Hauptsache, er bringt ein paar Millionen mit.

Neutralität beinhaltet selbstverständlich auch Wehrhaftigkeit und die Verteidigung der eigenen Ideale und Interessen - auch auf dem Feld der Außenpolitik. Dass dieses konstitutionelle (Selbst-)Bewusstsein nie ins Selbstverständnis vieler Bürger gedrungen ist, ist eines der schwereren Vergehen der österreichischen Politik. Denn daraus entstand, wie beim Besuch Putins gesehen, eine geradezu pathologische Bildungslücke, die der Willfährigkeit und der politischen Prinzipienlosigkeit Tür und Tor öffnet. (Oliver Tanzer, DER STANDARD, 8.7.2014)