Bruce Schneier: "In den USA ist es viel wahrscheinlicher, bei einer Schießerei ums Leben zu kommen, als von einem Terroristen getötet zu werden."

STANDARD: Der US-Kongress berät, wie man dem Militärgeheimdiest NSA straffere Zügel anlegen kann. Wie sind die Erfolgsaussichten?

Schneier: Ich fürchte, dass wir nur kosmetische Korrekturen bekommen, die in der Sache keinen Unterschied machen. Die NSA-Überwachung ist außerordentlich robust - politisch, technisch und rechtlich - organisiert. Im Augenblick drehen sich sämtliche Reformansätze nur um ein paar Details, nicht um den Kern. Meine Sorge ist, dass der Kongress ein schlechtes Gesetz verabschiedet, dass die Abgeordneten einander gratulieren und nicht begreifen, dass sie bloß Stückwerk liefern.

STANDARD: Warum tut sich das Parlament so schwer mit der Sache?

Schneier: Weil es eine komplizierte Materie ist und der 11. September 2001 den Leuten noch in den Knochen steckt. Sobald jemand warnt: "Sie haben Blut an den Händen, der nächste Anschlag geht auf Ihre Kappe", wird kaum ein Abgeordneter für echte Reformen stimmen. In dem Moment setzt Angst ein. Diese Angst müssen wir überwinden, das ist das Wichtigste. Aber das wird dauern. Heute sagen wir: "Erinnert euch auch an die Zeit, als wir Angst vor dem Kommunismus hatten: War das nicht dumm?" Dasselbe wird die nächste Generation vielleicht über unsere Terrorangst sagen.

STANDARD:Worum geht es im Kern?

Schneier: Die Überwachung ist außer Kontrolle geraten. Das Problem ist nicht, dass die NSA jeden ausspioniert, den sie ausspionieren will: Das Problem ist, dass die NSA die Sicherheit aller schwächt, indem sie das Spionieren erleichtert. Die NSA hat zwei Aufgaben: den Feind zu attackieren und uns damit zu schützen. Im Kalten Krieg war beides vereinbar. Ein sowjetisches Unterseekabel anzuzapfen, das beeinträchtigte in keiner Weise die Kommunikation von Amerikanern. Seit es das Inter- net gibt, bedienen sich alle der gleichen Kommunikationskanäle. Sie können kein russisches Netzwerk mehr hacken, ohne uns allen zu schaden. Es ist viel schwieriger, Grenzen zu ziehen. Wir führen aber noch keine Diskussion darüber, welche Art von Überwachung moralisch und effektiv ist. Diese Generaldebatte haben wir nicht.

STANDARD: Wie soll diese Debatte laufen, wenn es sich um Geheimdienste handelt, die ihrem Wesen nach nicht transparent sind?

Schneier: Natürlich können Sie nicht öffentlich darüber reden, welchen Teil des chinesischen Militärapparats man ausspioniert. Aber über die Grundlage dessen, was wir da tun, müssen wir streiten. Ja, es gibt terroristische Bösewichte. Doch wir müssen lernen, die Gefahr einzuordnen, sie ist eine von vielen. In den USA ist es viel wahrscheinlicher, bei einer Schießerei ums Leben zu kommen, als von einem Terroristen getötet zu werden. Wir müssen eine Kosten-Nutzen-Rechnung anstellen. Wenn die gesellschaftlichen Kosten der Überwachung größer sind als ihr Nutzen, sollten wir einen Schlussstrich ziehen. Wir brauchen ein zweites Church Committee (ein Ausschuss unter Senator Frank Church nahm 1975 die Geheimdienste unter die Lupe, Anm.). Alles muss ans Licht. Aber da rede ich von der Zukunft. Im Moment ist das hier außerhalb Washingtons, New Yorks und San Franciscos kein echtes Thema. In Deutschland dürfte es mehr Empörung über die NSA geben als in den USA.

STANDARD: Wird diese Empörung etwas bewirken?

Schneier: Ich drücke den Deutschen die Daumen. Wenn sie keinen Weg aus diesem Dilemma finden, sind wir hier verloren. Die Softwarekonzerne des Silicon Valley haben ihr Vertrauen verspielt, indem sie der NSA das Handwerk erleichterten. Lassen Sie mich erklären, wie das Vertrauen zerstört wurde: Wir Experten haben nie darauf vertraut, dass Software absolut sicher sein würde. Software ist anfällig, das war uns immer klar. Hier geht es aber um die Hintertüren, die man bewusst öffnet für die Regierung. Microsoft etwa hat Änderungen an Skype vorgenommen, damit die NSA leichter mithören konnte. Kein Wunder, dass man sich in anderen Ländern fragt: Warum sollen wir amerikanische Produkte kaufen, wenn die NSA dadurch Zugang bekommt? (Das Gespräch führte Frank Herrmann, DER STANDARD, 10.7.2014)