Die US-Agrarlobby will das Äpfel seiner Bauern auch nach Europa verkaufen können.

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Was das Abkommen wirtschaftlich bringen soll.

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Frisch und saftig. So sollen Golden Delicious und Granny Smith im Supermarkt sein. Die Konsumenten in Europa mögen es gern, wenn ihr Apfel aussieht, als sei er eben erst vom Baum gepflückt worden. Doch diese Vorliebe stellt Obstbauern vor Probleme. Denn Äpfel, die nach der Ernte länger eingelagert werden, neigen dazu, braune Flecken auf ihrer Haut zu entwickeln. Das ist gesundheitlich unbedenklich und nicht geschmacksverändernd. Doch weil der Konsument nun einmal nichts Braunes mag, werden Äpfel nach der Ernte meist chemisch nachbehandelt.

Ein beliebtes Mittel gegen die Schalenbräune ist Diphenylamin (DPA). In Europa ist DPA verboten. In den USA ist es erlaubt. Es gibt keinen Beleg dafür, dass DPA gesundheitsgefährdend ist, sagt das US-Landwirtschaftsministerium. Es ist nicht bewiesen, dass beim Kontakt der Chemikalie mit Luft nicht krebserregende Stoffe entstehen, sagt die EU-Lebensmittelagentur. Weil in den USA fast jeder Apfel Spuren von DPA aufweist, kann das Obst derzeit trotz der Proteste der US-Agrarlobby nicht nach Europa importiert werden.

Hintertür

Doch das könnte sich ändern. Die EU und die USA verhandeln derzeit über ein Freihandelsabkommen (TTIP), in Brüssel geht am Freitag die sechste Runde der Gespräche zu Ende. Trotz aller Widerstände bekräftigte der neue EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker bei seiner Antrittsrede im EU-Parlament diese Woche, dass er an TTIP festhalten werde. Umweltschutzorganisationen und NGOs wie Global 2000 und Attac befürchten, dass mit dem Abkommen in Europa geltende Standards für Nahrungsmittelsicherheit und Umweltschutz aufgeweicht werden.

Allerdings hat sich der Fokus verschoben. In den ersten Monaten nach Start der TTIP-Gespräche standen das Chlorhuhn und mögliche US-Genmais-Importe im Zentrum der Aufmerksamkeit. Der große Aufschrei zivilgesellschaftlicher Organisationen hat zu einigen Klarstellungen geführt. Im fertigen TTIP-Text wird nichts über die Legalisierung von Chlorhühnern stehen, sagt die Kommission heute. Das muss auch nicht sein, sagen die Kritiker des Abkommens. Die Verwässerung der Regeln in Europa drohe in Wahrheit über eine Hintertür namens "Regulatory Cooperation Council" (RCC).

Furcht vor Lobbygremium

Der Regulierungsrat RCC soll künftig ein fixes Gremium sein, in dem Aufseher aus Amerika und Europa zusammenarbeiten. Egal ob bei Chemikalien, Lebensmitteln oder Pharmaprodukten, Regulierer sollen sich im Rat absprechen, um auf eine "Harmonisierung" der Regeln hinzuarbeiten.

Umstritten ist, was das konkret bedeutet. Ein aus den TTIP-Verhandlungen geleaktes Dokument vom Dezember 2013 zeigt, dass die Kooperation engmaschig geplant ist: Amerikaner und Europäer sollen sich künftig Gesetze und Verordnungen vor ihrer Verabschiedung vorlegen, um die Meinung der anderen Seite zu hören.

Haben etwa die Amerikaner Bedenken, dass eine Verordnung ihre Firmen nachteilig trifft, soll der RCC mit dem "Gesetzgeber" in Europa zusammenwirken, um eine Lösung zu finden.

Transatlantisches Lobbybüro

Fix geplant ist zudem, dass der Regulierungsrat regelmäßig Interessengruppen anhört. "Da es bei diesen Diskussionen scheinbar um technische Details geht, werden vor allem Konzerne mitreden können", fürchtet Global-2000-Geschäftsführerin Leonore Gewessler. Der RCC wird nach dieser Lesart zu einem der Gesetzgebung vorgeschalteten transatlantischen Lobbybüro werden.

Gewesslers Angst: Selbst wenn Hormonrinder und Chlorhühner wegen des öffentlichen Widerstandes aus TTIP ausgespart bleiben, könne der technische Rat mit der Zeit für eine Aufweichung der Standards sorgen. So sehen es auch andere. Greenpeace befürchtet, dass das eingangs erwähnte Verbot der Chemikalie DPA als Folge von TTIP fallen könnte. Überhaupt gilt die Chemieindustrie als eines der wichtigsten und heikelsten Kooperationsfelder.

Doch es geht nicht nur um Verbote, sondern auch um Einschränkungen, die nie kommen könnten. So warnen etwa NGOs, dass das in Europa oft geforderte Verbot der Schiefergasgewinnung mittels Frackings von US-Konzernen via RCC torpediert werden könnte. In Brüssel wird diese Kritik strikt zurückgewiesen.

Vor allem Konzerne

Der Regulierungsrat werde Produkte weder erlauben noch verbieten können, sagt ein Sprecher von EU-Handelskommissar Karel De Gucht. Europäer und Amerikaner werden weiter selbst entscheiden, was sie essen und trinken wollen. Der Rat soll nur dafür sorgen, dass sich Aufseher regelmäßig treffen, etwa um auf eine Vereinheitlichung bei technischen Vorgaben für Produkttests hinzuwirken. Damit könnten sich Unternehmen jedes Jahr Millionen ersparen. 

Soll TTIP aber wie geplant Milliarden und nicht nur Millionen bringen, wird wohl mehr geschehen müssen. Da es zwischen Amerika und Europa kaum Zölle gibt, können Unternehmen von Tarifsenkungen kaum profitieren. Alle Untersuchungen zeigen, dass ein Handelsabkommen wirtschaftlich vor allem dann Sinn macht, wenn Amerikaner und Europäer ihre Produktnormen im größeren Stil anpassen (siehe Grafik). (András Szigetvari, DER STANDARD, 18.7.2014)