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Die Tragödie wäre nicht passiert, "wenn nicht die Kampfhandlungen im Südosten der Ukraine wieder aufgenommen worden wären", findet Russlands Präsident Wladimir Putin.

Foto: ap/Felipe Dana

Die Meldungen vom mutmaßlichen Abschuss der malaysischen Passagiermaschine über der Ostukraine waren erst wenige Stunden alt, da tobte schon der Propagandakrieg. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko sprach von einem Terrorakt, der klarmache, dass die "externe Aggression gegen die Ukraine" auch eine Bedrohung der europäischen und globalen Sicherheit sei. Wer für Kiew der externe Aggressor ist, muss Poroschenko nicht extra darlegen.

Für russische Medien und von ihnen befragte Experten wiederum bestand von vornherein kein Zweifel, dass die Regierung in Kiew für die Katastrophe verantwortlich sei. Präsident Wladimir Putin hatte ja die Linie schon kurz nach Bekanntwerden des Absturzes vorgegeben: Die Tragödie wäre nicht passiert, "wenn nicht die Kampfhandlungen im Südosten der Ukraine wieder aufgenommen worden wären". Unausgesprochener Nachsatz: Die ukrainische Regierung hat die Militäroperationen gegen die Separatisten entgegen russischen Warnungen fortgesetzt, also ist sie schuld an der Katastrophe.

Kein Krieg - kein Flugzeugabschuss: Putins Logik ist tatsächlich bestechend. Zunächst einmal wirft sie die Frage auf, wie verantwortungsbewusst sich Fluggesellschaften verhalten. Einige Airlines umfliegen das ukrainische Kampfgebiet schon seit Monaten großräumig. Warum andere nicht? Wird da die Sicherheit der Passagiere kommerziellen Erwägungen untergeordnet? Die Verantwortlichen nicht nur der Malaysia Airlines werden sich peinliche Fragen gefallen lassen müssen.

Zynische Logik

Aber das Ausblenden eines Restrisikos, aus welchen Motiven immer, bedeutet nicht Schuld. Kein Krieg - kein Flugzeugabschuss: Putins so bestechende Logik ist zugleich unfassbar zynisch. Der Krieg in der Ostukraine ist die Folge davon, dass die Separatisten von Russland politisch und militärisch unterstützt werden. Kiew hat den Rebellen wiederholt Gespräche angeboten, wenn sie die Waffen niederlegen. Das haben sie nicht getan, was den Verdacht nährt, dass es ihnen und ihren Mentoren nicht um eine friedliche Lösung des innerukrainischen Konflikts geht.

Die Kausalkette muss also früher beginnen: keine russische Hilfe für die Separatisten - kein Krieg - kein Flugzeugabschuss. Die Tragödie von Flug MH17 macht deutlich, wie schnell Konflikte dieser Art außer Kontrolle geraten können. Insofern hat Poroschenko recht, wenn er von einer Bedrohung der globalen Sicherheit spricht.

Aber wechselseitige Schuldzuweisungen helfen in dieser Situation nicht weiter. Stattdessen sollte sich die ukrainische Führung fragen, ob sie selbst wirklich alles getan hat, um zu einer Entschärfung der Lage beizutragen. Moralisch mag Kiew im Recht sein, wenn es die Entwaffnung der Separatisten zur Bedingung für Gespräche macht. Aber wenn der Fortbestand des Landes und der Frieden in Europa auf dem Spiel stehen, helfen Justamentstandpunkte nicht mehr weiter.

Wenn überhaupt, dann kann nur eine unabhängige internationale Untersuchung die Schuldfrage zweifelsfrei klären. Wie die Konfliktparteien dazu stehen und, vor allem, wie kooperativ sie sich verhalten, sollte es tatsächlich dazu kommen, wird sehr aufschlussreich sein. Der Fall kann zum Wendepunkt der Ukraine-Krise werden - in die eine oder in die andere Richtung. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 19.7.2014)