Andrea Kretschmann: Aufgabe der Polizei wäre, Menschen auf Versammlungen zu schützen.

Am Montag geht der Prozess gegen den mutmaßlichen Rädelsführer und Landfriedensbrecher Josef S., der bereits seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft sitzt, in die zweite Runde.

In der Öffentlichkeit werden Haft und Prozess inzwischen scharf kritisiert: Während Beweise bislang noch ausstünden, blieben entlastende Hinweise unberücksichtigt oder würden sogar als belastend ausgelegt. Von einem kafkaesken Prozess ist die Rede.

Man muss sich in der Tat wundern, welchen Realitätssinn hier Polizei und Justiz bisher an den Tag gelegt haben. Betrachtet man die Vorgänge vom 24. Februar 2014 durch die Brille der Strafverfolgung, dann hat man keine Demonstration mehr vor Augen, stattdessen entstehen Bilder einer militärisch konzertierten Aktion. Da ist von "Demonstrationssöldnern" und "Chaoten" die Rede und davon, dass "Krieg" geherrscht habe an diesem Abend im ersten Bezirk. Schwarze Kleidungsstücke sollen zu diesem Zweck sogar zentral ausgegeben worden sein, wie die Polizei behauptet.

Schwarzer Block

Es ist zu bezweifeln, dass die Polizei sich am Tag der Demonstration wirklich auf einem Kriegsschauplatz wiederfand. Tote waren jedenfalls nicht zu beklagen. Bei näherem Hinsehen könnte auch die planvolle, zentralisierte Begehungsweise der Straftaten zu relativieren sein. Es ist zumindest auffällig, dass die Charakterisierung des "Schwarzen Blocks", den Josef. S. einerseits angeführt und in den er sich andererseits eingereiht haben soll, erheblich von allgemeinen Erkenntnissen aus der Protestforschung abweicht.

Der zufolge ist der Schwarze Block weder eine Gruppierung noch eine spezifische Demonstrationspraxis. Die schwarze Kleidung geht historisch auf die Idee des Schutzes vor - unrechtmäßiger oder zumindest als unrechtmäßig erlebter - Polizeigewalt zurück. Auf antifaschistischen Demonstrationen wird sie vor allem eingesetzt, um sich vor Fotografen aus der rechten Szene zu schützen, die das Fotomaterial verwenden, um Demonstrierende später aufzusuchen und vigilant gegen sie vorzugehen.

Untersuchungen zeigen, dass die schwarz gekleideten Personen keine hierarchisch organisierte, geschlossene Einheit bilden, sondern dass sie unterschiedliche politische Vorstellungen und Anliegen versammeln. Deshalb gehen sie nicht mit identischer politischer Zielsetzung und einheitlicher Handlungsweise vor, und deshalb lassen sie sich auch nicht zentral steuern.

Polizeiliche Polemik

Beobachtet man den Prozess von Josef S., so entsteht der Eindruck, dass zu einem guten Teil polizeiliche Polemik, wie sie in den Kriegsanalogien ihren Ausdruck findet, zusammen mit einem simplifizierten Blick auf Protestbewegungen auf die Ebene des Gerichtsprozesses gehoben wird.

Es ist dabei kein Zufall, dass man sich gerade jetzt wieder an den Landfriedensbruch-Paragrafen erinnert, der im Anschluss an die Revolution von 1848 entstand und der lange Zeit "totes Recht" war. Derartige Rechtsbestände tauchen auf im Kontext einer kriminalpolitischen Gesetzgebungs- und Ermittlungskultur, die den Verdacht auf persönlich zurechenbares und tatsächlich strafbares Handeln immer weniger zur Voraussetzung kriminaljustiziellen Ermittelns und Richtens macht.

Der Landfriedensbruch-Paragraf stellt nicht so sehr auf ein konkretes strafrechtlich relevantes Handeln ab, sondern darauf, was andere Leute tun. Wenn man sich einer Menge anschließt, obwohl man weiß, dass sie Straftaten vorhat, zählen die Straftaten der anderen unter der Hand mit.

Krieg und Zusammenrottung

Derartige Rechtsgrundlagen sind jedoch besonders anfällig für Fehler und Willkür, manchmal sogar für politische Unbotmäßigkeit. Da kann eine Demonstration schnell mal zum "Krieg" werden, eine Ansammlung von Personen eine in homogener Weise zielgerichtet agierende "Zusammenrottung". Es fragt sich daher, wer hier schwere Geschütze auffährt.

Der Prozess von Josef S. wirft ein fahles Licht nicht nur auf das Rechtsstaatsverständnis der Exekutive. Er wirft außerdem Fragen auf bezüglich des Demokratieverständnisses in den Institutionen. Denn fast könnte man meinen, Polizei und Justiz sähen ihre Funktion momentan vor allem darin, Menschen davor abzuschrecken, von der Ausübung ihres Grundrechts auf Versammlungsfreiheit Gebrauch zu machen. Das Gegenteil aber, Menschen auf Versammlungen zu schützen, wäre ihre Aufgabe. (Andrea Kretschmann, DER STANDARD, 21.7.2014)