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In der Zivilgesellschaft ist TTIP sehr umstritten. Lange hat dafür Verständnis, fordert aber eine sachliche Debatte.

Foto: ap/meissner

Im November, wenn die neue EU-Kommission steht und die Kongresswahl in den USA geschlagen ist, müssen die Verhandlungen um das umstrittene Abkommen TTIP neu gestartet werden, fordert der Sozialdemokrat Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament. Dann solle von Beginn an Transparenz herrschen. Das Abkommen hält er grundsätzlich für sinnvoll, die Geheimniskrämerei der EU-Kommission kritisiert er aber scharf.

STANDARD: Sie werden im Ausschuss des Parlaments regelmäßig über das TTIP-Abkommen informiert. Wie weit ist dieses?

Lange: Derzeit gibt es nur fünf oder sechs Seiten mit Text, über den man sich einig ist. Darauf sind Dinge, die beide im Abkommen drinhaben wollen.

STANDARD: Welche Dinge?

Lange: Da geht es um ein paar kleine technische Fragen, nichts Substanzielles. Und das ist auch das Problem bei diesen Verhandlungen. Es wird seit eineinhalb Jahren miteinander gesprochen. Alles, was wir wissen, ist, dass es in ganz vielen Bereichen ganz große Unterschiede gibt. Die USA sind offenbar nicht gewillt, auf die EU zuzugehen.

STANDARD: Glauben Sie, dass man sich noch einigen wird?

Lange: Wir müssen im November kritisch Bilanz ziehen. Da gibt es das Ergebnis der Konsultation der Investitionsschutzklausel, einen neuen Handelskommissar und auch Kongresswahlen in den USA. Dann muss man sehen, was geht und was nicht geht. Ich bin der festen Überzeugung, man muss Dinge aus den Verhandlungen herausnehmen und dann einen Neustart machen, der aber dann von Transparenz begleitet werden muss.

STANDARD: Fühlen Sie sich als Vertreter des EU-Parlaments gut genug informiert?

Lange: Ich bin sehr gut informiert, weiß, was da geredet wird, und kenne die Positionen der EU. Ich habe auch Zugang zu allen EU-Dokumenten und rede vor und nach den Treffen mit dem EU-Chefverhandler. Was ich nicht habe - und das kritisiere ich auch -, sind die Dokumente der USA. Es ist heikel, dass wir nicht wissen, was die USA genau wollen.

STANDARD: Das Zusammenspiel von Parlament und Kommission funktioniert also?

Lange: Das ist wieder eine andere Frage. Zufrieden bin ich nicht. Die Transparenz, die für so ein umfassendes Abkommen notwendig wäre, fehlt. Man muss das in der Öffentlichkeit zur Diskussion stellen. Es ist ganz schön, wenn Herr Lange informiert ist, aber die fundamentalen Verhandlungsdokumente müssen auch veröffentlicht werden. Jeder soll wissen, worum es geht. Die Strategie der EU-Kommission ist nicht akzeptabel. Auch die Staats- und Regierungschefs weigern sich übrigens, die Dokumente zu veröffentlichen.

STANDARD: Die Kommission argumentiert mit verhandlungstaktischen Gründen.

Lange: Zum einen glaube ich, dass die USA schon eine ganze Menge wissen, wenn man sich die NSA-Aktivitäten ansieht. Ernsthaft: Es geht ja nicht um die Veröffentlichung aller Dokumente. Klar, wenn man etwas Sensibles verhandelt, muss man auch einen Spielraum haben. Aber Dinge wie das Verhandlungsmandat der EU gehören veröffentlicht.

STANDARD: Die Kommission sagt, europäische Sozial- und Umweltstandards bleiben unangetastet. Aber bei dem Ganzen geht es ja gerade um die Anpassung von Standards. Sind die Sorgen der Kritiker berechtigt?

Lange: So pauschal würde ich sagen: nein. Wir haben Ausnahmen, was die öffentliche Daseinsvorsorge und die kulturelle Freiheit betrifft. Es gibt natürlich auch Standards, über die man nachdenken kann. Wenn die Blinker in den USA rot sind und bei uns orange, kann man darüber nachdenken. Es gibt auch sensible Bereiche, da muss man aufpassen. Wenn es um Verbraucherstandards und Lebensmittelsicherheit geht, muss man im Detail schauen, dass es keine Hintertüren gibt.

STANDARD: Apropos Hintertür. Es soll einen Regulierungsrat geben, in dem sich die USA und die EU vor der Verabschiedung von Gesetzen absprechen. Lobbyisten scharren schon in den Startlöchern.

Lange: Ich finde es nicht schlecht, wenn man gemeinsam über künftige Standards redet. Wobei ich es eigentlich besser finden würde, wenn man das global macht. Im Rahmen der UN gibt es da ein Gremium in Genf, im Automobilbereich etwa gibt es schon viele globale Standards. Es kann natürlich nicht sein, dass so ein Rat Entscheidungen treffen kann. Damit muss man vorsichtig sein. Kooperation ja, Entscheidungen über Standards darf nur das EU-Parlament treffen.

STANDARD: Ein Kritikpunkt ist der Investitionsschutz. Sie können im Parlament nur Ja oder Nein sagen. Falls Schiedsgerichte im Abkommen stehen, lehnen die Sozialdemokraten TTIP ab?

Lange: Ja, das kann man wohl so sagen. Der gesellschaftliche Druck auf die Kommission war groß, auch Juncker hat gesagt, dass er dafür im Abkommen keinen Platz sieht. Ich gehe daher davon aus, dass das im Abkommen nicht enthalten sein wird.

STANDARD: Die Kritik an TTIP hat sich zuletzt aufgeschaukelt. Warum überlassen die Befürworter Kritikern das Spielfeld?

Lange: Was öffentlich diskutiert wird, sind Befürchtungen, die man ernst nehmen muss. Da sind aber auch viele Gerüchte und Mythen dabei. Deshalb muss man ganz genau und rational hervorheben, worum es geht. Einige argumentieren ganz bewusst mit zugespitzten Aussagen, die nicht mehr ganz der Wahrheit entsprechen.

STANDARD: Sie selbst haben gesagt, das Chlorhuhn darf auf keinen europäischen Teller. Ist das nicht auch populistisch?

Lange: Wir haben da andere Vorstellungen zur Hygiene von Hähnchen. Ich glaube nicht, dass die Amerikaner wegen des Chlors gesundheitliche Probleme haben. In Europa geht man aber präventiv mit Keimbelastungen um. Da gibt es keine Notwendigkeit, sich zu verständigen. Die Diskussion muss man eher nutzen, um über die Hühneraufzucht in Europa nachzudenken. Sind die 2.000 Tonnen Antibiotika, die wir mitessen, wirklich notwendig? Es wird nur auf die USA geschaut, aber in Europa ist das auch nicht so super organisiert.

STANDARD: Derzeit wird auch das Freihandelsabkommen CETA mit Kanada verhandelt. Wäre ein großes Abkommen nicht klüger als bilaterales Hickhack?

Lange: Da kann ich Ihnen im Grunde nur zustimmen. Globale oder zumindest regionale Abkommen wären viel, viel sinnvoller. Leider gibt es aber so viele Partikularinteressen, dass das offenbar nicht möglich ist. Sie haben recht, wir müssen unsere Strategie noch einmal überdenken. In Bali hat es im Rahmen der WTO einiges an Bewegung gegeben. Ich bin nach wie vor dafür, auf multinationaler Ebene etwas hinzukriegen, damit wir möglichst viele mitnehmen und nicht nur Rosinen picken. Irgendwann einmal gibt es eine Vielzahl an unterschiedlichen Abkommen, die sich auch gegenseitig beeinflussen, wo es wie bei einem dreidimensionalem Schachspiel zugeht. Das kann ja auch nicht der Sinn von freiem und vor allem auch fairem Handel sein. (Andreas Sator, derStandard.at, 24.7.2014)