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Der Bikini könnte in Zukunft mittels Avatar anprobiert werden.

Foto: reuters/wiegmann

Sie ist mindestens 1,70 Meter groß, hat annähernd die Maße 90-60-90, und das ausgesuchte Kleid steht ihr perfekt. Wer online Kleidung kauft, muss sich an perfekten Modelkörpern orientieren. Sofern man nicht über Modelmaße verfügt, bleibt es ein Glücksspiel, ob die für den Warenkorb vorgemerkten Klamotten auch am eigenen Leib gut aussehen. Und da naturgemäß die Umkleidekabine fehlt, ist die Größenwahl das nächste Dilemma. Traditionelle Maßtabellen, die manche Onlineshops zur Orientierung anbieten, helfen meist nur bedingt, da die Größen von Marke zu Marke variieren.

Anprobelösungen im Netz versuchen dem Problem schon seit einigen Jahren beizukommen. Auf die Vermessung des Users setzt etwa das Berliner Start-up upcload.com: Probierwillige stellen sich in einem enganliegenden Outfit vor eine Webcam, Upcload macht Fotos und speichert die Maße in einem Profil. Bei kooperierenden Onlineshops können die User ihr persönliches Profil abrufen. Ähnlich arbeiten beispielsweise auch mifitto.com mit Schuhen oder mipso.me und modelmyoutfit.com.

Avatare als Anprobegehilfen

Einen anderen Weg gehen neuerdings Anbieter sogenannter virtueller Umkleidekabinen. Ein vielversprechendes Start-up ist derzeit metail.com. Seit 2008 arbeiten Tom Adeyoola und Cofounder Duncan Robertson zusammen mit der Cambridge University an einem virtuellen Umkleidesystem, online ist es seit 2012. Inspiriert wurden die beiden vom Kinofilm „Clueless“ aus den 1990ern, in dem Alicia Silverstone als Teenie Cher Horowitz den Prototypen eines perfekt organisierten Kleiderschranks vorführt: ein Klick auf Ober- und Unterteile ihrer Garderobe, und der Computer befindet ihr gewähltes Outfit als gut oder schlecht. Ebendieser Cher widmet Metail auch seine erste Marketingkampagne "SherYourCher", die jetzt im Juli gelauncht wurde.

Das Unternehmen verspricht, ein bis zu 96-prozentig akkurates 3-D-Model vom User hinzukriegen, inklusive Details wie Hautfarbe und Frisur. Und tatsächlich ist der eigene Modelavatar schnell und realitätsgetreu angelegt, wenn man sich einmal dazu durchringt: Gewicht, Größe und BH-Maße eingeben und Hüft- und Taillenumfang anpassen.

Das Programm zieht dem Avatar gleich die richtige Größe an.
Foto: Screenshot http://www.metail.com

Nach einem Klick auf den "Try it on"-Button präsentiert das MeModel das gewünschte Outfit. Die Berechnung der richtigen Größe übernimmt das Programm. Ausprobieren kann man das derzeit auf der Website von Metail - mit einer Auswahl an Outfits, auch jenen von Cher Horowitz. Das Ergebnis kann auf Facebook gepostet oder per E-Mail verschickt werden. "Momentan bieten der englische Onlinehändler Warehouse, Dafiti in Brasilien und Singtel in Singapore unser Service an, mit vielen anderen Partnern sind wir im Gespräch", teilt Metail auf Anfrage mit.

Weniger Rücksendungen

Laut dem Unternehmen haben bisher 625.000 Menschen ihre MeModels kreiert. Namhafte Online-Shops wie Zalando haben via Teststudien mit dem Online-Service zusammengearbeitet. In der Testphase gingen laut Angaben von Metail bei jenen Produkten, die online mit einem Avatar probiert wurden, um fast zehn Prozent weniger Rücksendungen bei Zalando ein.

Technische Zukunftsmusik

"Für uns sind solche virtuellen Avatare trotz guter Testergebnisse eher Zukunftsmusik", lässt Zalando wissen. Die Herausforderung bestehe in der Nutzerakzeptanz der Online-Shopper, sich Zeit für die Erstellung eine virtuellen Ichs zu nehmen. Die gute Idee müsse so einfach wie möglich für die User realisiert werden, und da gibt es noch einiges zu verbessern. Zusätzlich entwickelt der Onlineshop neue Lösungen zur noch besseren Darstellung der Artikel mit Produktvideos, Teilkörper- und 360°-Ansichten und erprobt auch eine telefonische Produktberatung.

"Wir testen sehr viele innovative Technologien wie beispielsweise virtuelle Umkleidekabinen oder verschiedene Größenberater", heißt es aus dem Unternehmen, das auch das neueste Zukunftsprojekt verrät: ein System, das mittels Kinect (Hardware zur Steuerung der Spielkonsole Xbox) und in 3-D eingepflegten Produkten arbeitet, das der potenzielle Käufer mit Wischbewegungen bedienen kann. Der Fernsehbildschirm zu Hause wird so zur Anprobe umfunktioniert.

Roboter mit Muskeln

Ähnlich wie Metail, aber etwas anders, funktioniert die 2010 von Heikki Haldre und Paul Pällin in Zusammenarbeit mit Universitäten in Estland und Italien gegründete virtuelle Umkleidekabine fits.me: Hier werden männliche und weibliche Roboter eingesetzt, die auch Muskeln und Körperformen simulieren können.

Die Roboter können alle möglichen Körperformen annehmen und probieren Kleidung in jeder Größe, mit allen erdenklichen Eigenheiten, die die menschliche Körperform zu bieten hat.
Foto: Screenshots http://www.fitsme.com

Von einem Kleidungsstück werden bis zu 3000 Bilder geschossen, um den Usern ein möglichst detailgetreues digitales Model davon bieten zu können, wie ein bestimmtes Kleidungsstück an ihnen aussieht. Auch bei Fits.me zeigen Fallstudien deutlich weniger Rücksendungen. Hugo Boss in den USA verwenden den Service, und andere namhafte Häuser interessieren sich für die Technologie. Das Versandhaus Otto etwa hat die Robotermodels online ausprobiert, es wird aber bei der Testphase bleiben, ist von Otto zu erfahren.

Virtuelle Welten als Umkleidekulisse

Fehlt nur noch eine Idee für jene, die nach wie vor gerne in echte Geschäfte gehen und Vorhänge zurückschieben, um sich im Spiegel einer echten Umkleide zu betrachten. Es gibt gewiss noch Potenzial, frustrierende Erlebnisse in schlecht belüfteten Kabinen zu minimieren. Auch hier könnten bald virtuelle Welten eingesetzt werden und die Umkleide zur Wohlfühllandschaft machen. Eine interaktive Kabine namens "Cyberfit" hat der Deutsche Christian Zagel erfunden. Das System ist im Prototypstatus und wird derzeit in Zusammenarbeit zwischen der Adidas Group und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg weiterentwickelt.

Eine Berglandschaft soll Outdoor-Kleidung in gutes Licht rücken.
Foto: adidas Group / FAU

Seine Erfindung, die auf der Computermesse CeBIT vergangenes Jahr mit einem Innovationspreis ausgezeichnet wurde, soll jedes Kleidungsstück erkennen und die passende Umgebung dazu auf die Wand projizieren. Ein Strand mit Meeresrauschen schmeichelt dem anprobierten Bikini und seiner Trägerin gewiss mehr als Neonlicht und seltsam verzerrende Spiegel.

Auch Strandlandschaften sind ein dankbarer Hintergrund.
Foto: adidas Group / FAU

(Marietta Adenberger, derStandard.at, 12.8.2014)