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Die verschärften Sanktionen von EU und USA zielen auch auf den Finanzsektor ab.

Foto: REUTERS/Sergei Karpukhin

derStandard.at: Welche Erfolgschancen haben Sanktionen, wie sie jetzt von EU und USA gegen Russland geplant sind?

von Soest: Die kurzfristigen Erfolgschancen sind relativ gering, weil Russlands Präsident Putin offensichtlich bereit ist, einen hohen Preis für seine Politik zu zahlen. Die Möglichkeit von weiteren Sanktionen stand ja durchaus im Raum, es gab den EU-Stufenplan – insofern ist die Verschärfung der Sanktionen wahrscheinlich keine so große Überraschung für Putin und seine Regierung. Andererseits hat er sicher darauf spekuliert, dass sich die EU nicht einig wird. Weil es Sonderinteressen gibt, wie zum Beispiel die zwei Hubschrauberträger, die in Frankreich für Russland gebaut werden. Putin bringt seine Politik zudem innenpolitisch Punkte, seine Popularität in Russland ist zuletzt stark gestiegen.

derStandard.at: Warum gibt es dann überhaupt Sanktionen?

von Soest: Zusammengefasst gibt es drei Hauptmechanismen, wie man glaubt, dass Sanktionen in Hinblick auf eine Verhaltensänderung wirken können. Erstens: Die Regierung sagt selbst: "Wir sind nicht bereit, diesen Preis zu zahlen", und ändert ihre Politik. Zweitens: Bei breiten Wirtschaftssanktionen protestiert die Bevölkerung und zwingt die Regierung zu einem Kurswechsel. Und drittens: Die Wirtschafts- und Polit-Elite ist betroffen und in ihrem persönlichen Leben und bei der Verfolgung ihrer Interessen eingeschränkt. Das ist die Stoßrichtung der derzeitigen Russland-Sanktionen: Die EU und die USA versuchen die Oligarchen und den Kreis um Putin zu treffen.

derStandard.at: Wie zielsicher kann man die Bevölkerung von Sanktionen ausnehmen, die "Kollateralschäden" eindämmen?

von Soest: Bisher waren es Einreiseverbote und Kontensperrungen bei Vertrauten von Putin. Jetzt sollen der Export von waffenfähigen Technologien verboten und weitere Finanzsanktionen verhängt werden. Wenn es bei diesem Umfang bleibt, würde das die breite Bevölkerung nicht in erster Linie treffen.

derStandard.at: Treffen würde es sie aber sicher, wenn es mit der russischen Wirtschaft weiter bergab geht. Wenn die Unternehmen keine Kredite mehr in der EU bekommen und sich immer teurer refinanzieren müssen, werden sie wohl auch bald den Sparstift ansetzen.

von Soest: Das ist richtig. Wenn die Sanktionen das Wirtschaftswachstum verlangsamen, trifft das auch die Bevölkerung. Generell treffen, gerade in nichtdemokratischen Systemen, breite Wirtschaftssanktionen oft nicht die politische Elite, sondern die Ärmsten in der Gesellschaft. Der wirtschaftliche Druck übersetzt sich nicht in politischen Druck. Oft kommt es zu einer Wagenburgmentalität, wo sich Regierung und Bevölkerung gegen den gemeinsamen Feind stellen, gerade wenn die Regierung weite Teile der Medien und damit die Berichterstattung über die Sanktionen kontrolliert.

derStandard.at: Gerade Deutschland und Österreich haben enge Geschäftsverbindungen mit Russland. Vom Gas sind alle abhängig, Österreich ist auch in der Finanzbranche viel in Russland unterwegs. Der Chef des deutschen Industrieverbands sprach sich unlängst dezidiert für Sanktionen gegen Russland aus. Wie weit ist man als Sanktionierer bereit zu gehen, wenn die eigenen Geschäfte in Gefahr sind?

von Soest: Ich habe mit meinem Kollegen Michael Wahman eine Studie über "demokratische Sanktionen" erstellt, die auf Demokratisierung und den Schutz von Menschenrechten abzielen. Nicht jede Regierung, die die Menschenrechte verletzt, wird auch von anderen Ländern sanktioniert. Ein wichtiger Faktor kann ein international sichtbares Ereignis sein, das mit der Verletzung von internationalem Recht einhergeht. Zum Beispiel ein Putsch. Darauf haben wir uns in unserer Analyse konzentriert.

derStandard.at: Oder die mutmaßlich abgeschossene MH17 ...

von Soest: ... oder die Annektierung der Krim. Das war kein schleichender Prozess, wo Menschenrechte verletzt wurden, sondern ein sehr deutlich sichtbares Event. Der zweite Faktor ist die Verletzlichkeit des Ziels: Gibt es eine hohe Inflation, gibt es schon Proteste gegen die Regierung? Das steigert die Bereitschaft, Sanktionen einzusetzen Der dritte Faktor: Wie hoch sind die eigenen Kosten für den Sanktionierer? Bei Russland sind die potenziellen Kosten zumindest für die EU recht hoch. Außerdem hat Russland als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats eine starke internationale Position. Insofern ist Russland eigentlich ein sehr untypisches Ziel für Sanktionen. Aus Sicht der USA und der EU hat Putin nun offenbar die rote Linie überschritten, und man ist bereit, nun selbst einen höheren Preis dafür zu zahlen.

derStandard.at: Sie haben sich aus wissenschaftlicher Sicht mit Sanktionen beschäftigt. Wenn Sie einen Sanktionsratgeber schreiben würden, was würde auf der To-Do-, was auf der No-Go-Liste stehen?

von Soest: Sanktionen gegen Demokratien treffen generell besser als gegen nichtdemokratische Regierungen, weil diese anfälliger für den Druck von außen sind. Das Problem ist nur, dass ungefähr 80 Prozent aller Sanktionsziele nichtdemokratisch sind. Außerdem braucht es Einigkeit unter den Sanktionierern und eine möglichst breite Koalition, die Druck ausübt, damit die Sanktionen eine hohe Legitimität haben. Die USA und die EU sind sich in diesem Fall einig, allerdings beteiligen sich darüber hinaus nicht viel mehr Länder an den Sanktionen. Und dann braucht es klare Regeln, warum die Sanktionen implementiert werden und wann sie aufgehoben werden. Als letzten Punkt: Je unwichtiger der Grund der Sanktionen für das Zielland ist, desto eher gibt es nach. Das ist im russischen Fall derzeit nicht gegeben. Die Krim-Annektierung und die Nichteinbindung der Ukraine in den EU-Kontext sind für Putin wichtig. Und sie bringen ihm innenpolitisch Punkte.

derStandard.at: Was würde auf der No-Go-Liste stehen?

von Soest: Es müssen hohe humanitäre Kosten verhindert werden. Die UN-Sanktionen in den 1990er-Jahren gegen den Irak unter Saddam Hussein hatten katastrophale humanitäre Folgen. Die Bevölkerung verarmte über Jahre hinweg, Saddam Hussein und seine Regierung haben dagegen profitiert. Seitdem versucht man, Sanktionen zielgerichteter einzusetzen. Es gilt deswegen auch im Fall von Russland, genau den Nutzen von Wirtschaftssanktionen gegen die Folgen für die Bevölkerung abzuwägen. (Daniela Rom, derStandard.at, 31.7.2014)