Im einstigen wirtschaftlichen Sorgenkind, also Berlin, entsteht das Humboldtforum.

Foto: Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum / Franco Stella

Berlin - In Berlin wächst ein Schloss. Es sieht zwar noch nicht so aus und soll auch nicht so heißen, denn es geht nicht mehr um die Repräsentation irgendeiner altehrwürdigen Dynastie. Es ist nicht weniger als die Berliner Republik, die sich hier zeigen will. Und sie hat einen Namen gewählt, der den erweiterten Kulturbegriff erkennen lässt, mit dem ein Staat wie Deutschland in die Zukunft gehen will: Humboldtforum.

Der Welterforscher aus der Berliner Klassik um 1800 steht für die Wissensgesellschaft, die von Politikern gern beschworen wird. Humboldt sammelte Wissen, man kann ihn als Pionier der Globalisierung begreifen. Und das nach ihm benannte Forum soll nun kulturelle und andere Beziehungen so darstellen, dass der unangenehm koloniale Beigeschmack früherer Epochen endgültig überwunden wird.

Kulturpolitisches Zeichen

Für Monika Grütters, die Beauftragte für Kultur und Medien, ist das Humboldtforum das herausragende kulturpolitische Zeichen: eine Verbindung von barocker Fassade mit demokratischer Selbstinszenierung. Und davor bekommt das Volk auch noch eine Schaukel. Darauf läuft es bei den Planungen für das Freiheits- und Einheitsdenkmal hinaus, das auf der Schlossfreiheit errichtet werden soll. Bis Ende 2014, wenn man des Mauerfalls von 1989 gedenkt, wird das Monument zwar nicht fertig sein. Aber die wesentlichen planerischen Entscheidungen sind gefallen.

Es wächst also eine Menge zusammen im wiedervereinigten Deutschland, das sich in diesem Sommer schon in einer von aller Welt bewunderten Fußballmannschaft vertreten sehen konnte. Das Land liegt erfolgreich und befriedet inmitten des Erdteils, die Steuereinnahmen sprudeln, vor wenigen Wochen wurden dem Kulturetat für 2014 weitere 90 Millionen Euro zugeschlagen, sodass nun fast 1,3 Milliarden zur Verfügung stehen. Enorm auch vor dem Hintergrund, dass Kultur in Deutschland eher Ländersache ist.

Traum vom Wissensforum

Der Bund kann sich also auf Prestigeprojekte konzentrieren, von denen viele in Berlin angesiedelt sind. Die Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin (KBB) werden allein mit 15 Millionen extra dotiert. Das stärkt die Hauptstadt, die lange als wirtschaftliches Sorgenkind galt. Das hat sich inzwischen geändert, sodass im Moment niemand mehr davon spricht, kulturelle Einschnitte vorzunehmen.

Im Gegenteil träumt der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit von seinem eigenen Wissensforum, einer neuen Stadt- und Landesbibliothek auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Ob dieser Großbau dem Betrieb der eigentlich sehr bürgernah und auf die große Stadtfläche verteilten Institution wirklich zuträglich wäre, ist zwar sehr umstritten. Dann kam der Volksentscheid gegen die Bebauung des Tempelhofer Feldes, und seither steht alles im Grunde wieder auf Anfang.

Dass es um eine Bibliothek so großes Gezerre gibt, hat eine innere Logik. Denn die Kulturpolitik dient eben immer auch einer permanenten Neubestimmung dessen, was Kultur in einem Staat mit vergleichsweise gut funktionierenden Institutionen sein kann und soll.

Kultur dient nicht einfach der Darstellung der Erfolge des Gemeinwesens, wie es ein klassisches bürgerliches Verständnis sehen wollte. Sie legt gleichzeitig deren Grundlage. Deswegen taucht das Thema auch in eher technischen Zusammenhängen auf. In den Kontroversen um das transatlantische Freihandelsabkommen ist die Kultur vielleicht sogar von größerer Symbolkraft als die gern beschworenen Chlorhühner. Denn es steht dabei eine Systemdifferenz auf dem Spiel.

Kulturförderung sichern

In den USA ist nur ein geringer Teil des Kulturlebens öffentlich gefördert. In Europa ist die öffentliche Kulturförderung allgemein akzeptiert, sie könnte aber unter Druck geraten, wenn etwa ein Schiedsgericht über das System der Filmförderung zu befinden hätte. Deutschland verhandelt deswegen derzeit zuerst einmal vor allem mit Brüssel darüber, wie etwaige General- oder Schutzklauseln lauten könnten, durch die Kulturförderung, aber auch das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, abgesichert werden können.

Gerade im Bereich des Films hat Deutschland zuletzt standortpolitisch aufgeholt. Bei der diesjährigen Berlinale waren mit George Clooneys "Monument Men" und Wes Andersons "The Grand Budapest Hotel" zwei Prestigeproduktionen zu sehen, an denen die wirtschaftliche Filmförderung wesentlich beteiligt war. Die kulturellen Auftragsbücher sind also fast so voll wie die des Maschinenbaus, könnte man sagen und daran ein Credo des deutschen Selbstverständnisses anschließen: Es ist die mittelständische Struktur, die zugleich Vielfalt und Qualität sichert.

Innovative Buchhandlungen

Ein weniger positives Wort dafür wäre das Gießkannenprinzip. Deutschland schüttet viel aus, es wächst auch viel. Kontrovers ist dabei, ob die traditionelle Kulturförderung nicht übersieht, wie sich mit den digitalen Oligopolen die Kultur in einer Weise verändert, die sich dem Zugriff der Kulturpolitik zu entziehen droht.

Dass es mit einem reduzierten Mehrwertsteuersatz auf E-Bücher so lange dauert, zeugt davon, dass die Institutionen in Brüssel wie in Berlin gegen schwer zu greifende Unternehmen wie Amazon oder Google prozedurale Nachteile haben. Die Politik hat dagegen ein bewährtes Mittel: kleine Kompensationen. So geht ein Teil der besagten 90 Millionen an einen neuen Preis, mit dem innovative Buchhandlungen ausgezeichnet werden sollen. Das ist zwar nicht mehr als ein Tropfen auf das heiße Mousepad der Onlinekunden, zeugt aber von einer generellen Stimmung, dass Deutschland die Kultur nicht einfach in ein riesiges Warenhaus aufgehen lassen will. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 6.8.2014)