Als die neue ägyptische Führung die Muslimbruderschaft und mit ihr die Hamas 2013 als Terrororganisationen qualifizierte, fragten sich die Beobachter, was denn nun mit Mussa Abu Marzuk, der Nummer zwei des Hamas-Politbüros und seit 2012 in Kairo ansässig, passieren würde. Die Antwort war: nichts. Abu Marzuk wird von den Ägyptern nicht nur toleriert, sie sehen in ihm einen Mann, mit dem man politisch ins Geschäft kommen kann. Er führt für die Hamas die Verhandlungen über die Verlängerung der Waffenruhe mit Israel.

Dass die Ägypter die Nummer eins des Politbüros, Khaled Meshaal, nicht in Kairo haben wollen, hat nicht nur mit diesem selbst, sondern auch mit seinem Exilort zu tun: Doha. Abu Marzuk versus Meshaal, das ist auch eine Partie Ägypten - Katar, wobei Katar das dringend benötigte Geld hätte, das der Gazastreifen jetzt braucht.

Mussa Abu Marzuk wurde 1951 als Flüchtlingskind im Camp von Rafah geboren. Er studierte Technik in Kairo und setzte diese Studien, nachdem er eine Zeitlang in den arabischen Golfländern gearbeitet hatte, in den USA fort. Sein Doktorat machte er an der Louisiana Tech.

Bereits als Jugendlicher hatte er sich politisch engagiert, die Islamisten wurden zu seiner politischen Heimat. Nach der Ausdünnung der Hamas gegen Ende der ersten Intifada begann sein Aufstieg in der Organisation, der ihn 1992 zum Politbürochef machte.

Damals lebte er in Jordanien, wurde 1995 ausgewiesen, bei seiner Einreise in die USA verhaftet und nach zwei Jahren ohne Anklageerhebung wieder nach Jordanien zurückgeschoben. 1999 erfolgte dort der nächste Hinauswurf. Obwohl ihm Israel die Beteiligung an der Logistik von Attentaten vorwarf, gilt er - und wurde 2004 dafür in absentia in den USA verurteilt - vor allem als genialer Fundraiser. Zu diesem Zweck gründete er immer wieder islamistische Organisationen.

2001 zog er nach Damaskus, wo das Politbüro inzwischen untergekommen war. 2012, nachdem sich die Hamas nach Ausbruch des Aufstands in Syrien vom Assad-Regime distanziert hatte, brachen Meshaal und Marzuk ihre Zelte in Damaskus wieder ab; der eine ging nach Doha, der andere nach Kairo. Dort ließ sich Mussa Abu Marzuk von einer jüdischen Zeitung, The Forward, interviewen, über viele Stunden lang. Nicht nur dass er das Interview gab, war eine Sensation, auch dass es The Forward publizierte - wenngleich mit acht gleichzeitigen "Antworten" von Experten. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 8.8.2014)