Am Mittwoch, dem 30. Juli, war der letzte Drehtag, und er endete mit einem buchstäblichen Donnerwetter. Nachdem wir die letzten Takes gedreht hatten, brach ein heftiges Gewitter los, mit Blitzen kreuz und quer, sogar horizontale gab es und Doppelblitze parallel über den Dächerfluchten. Es schüttete in Strömen, und das Wasser klatschte durch alle Ritzen und Spalten der stillgelegten Fabrikshalle, wo wir gerade zuvor noch die letzten Szenen von "Superwelt" gedreht hatten. Ich schildere das aus keinem bestimmten Grund.

Ich liebe die Menschen. Ich kann es nicht anders ausdrücken. Obwohl ich weiß, zu welchen Entsetzlichkeiten wir fähig sind und welche Entsetzlichkeiten wir auch tatsächlich begehen. Es fällt mir schwer, mir ein Leben ohne uns vorzustellen. Und trotzdem gäbe es das Leben auch ohne uns, aber es gäbe keine Vorstellung davon. Sich eine Vorstellung von möglichst allem machen, ist, was ich Leben nenne; womit ich immer schon mein Leben verbringen wollte, seit ich denken kann.

Meine frühesten Gedankengänge waren Vorstellungen – Vorstellungen vom "Ich", Vorstellungen vom "Du" und Vorstellungen vom "Es". Durch Bewusstsein entsteht Gegenwart, aber erst durch die Vorstellung kann ein Geschehnis als Ablauf von Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem bewusst werden. So stelle ich mir das jedenfalls vor.

Ernsthaftes Identitätsproblem

Das ist eine der Schönheiten der deutschen Sprache, dass der Begriff Vorstellung auf der einen Seite die Bedeutung von "sich ein geistiges Bild von etwas machen" hat, auf der anderen Seite aber auch die äußere Zurschaustellung im Sinn einer Theater- oder Zirkusvorstellung. Für mich waren innere und äußere Vorstellung immer verbunden. Das eine war ohne das andere nicht denkbar. Alles, was ich mir vorstellen konnte, wollte ich auch vorstellen = in die Welt bilden.

Als Kind musste ich mich nicht entscheiden, ob ich Autor, Regisseur oder doch lieber "nur" Darsteller sein wollte. Ich war alles zusammen - eben ein Kind, das spielt. Erst später, als Begriffe wie Beruf und erwachsen in meine Vorstellungswelt rückten, wurde es zu einem ernsthaften Identitätsproblem. Das hat alles ziemlich viel mit meinem neuen Film zu tun, ist aber für dessen Verständnis hoffentlich unbedeutend.

Nächste Frage

Frage Nr. 7 aus der Reihe "Die vermutlich am häufigsten gestellten Fragen zum Film 'Superwelt'":

"Herr Markovics, warum nehmen Sie sich so wichtig, dass Sie nicht nur einen Film über Gott und die Welt machen, sondern auch noch einen Blog darüber schreiben?"

"Karl Welunschek, ein Theatermacher, mit dem ich zu Beginn meiner Laufbahn sehr viel gearbeitet habe, gab mir auf eine ähnliche Frage einmal folgende Antwort: 'Warum bringt der Mädchenmörder Mädchen um?' - 'Aus Leidenschaft.' Das ist die entsetzliche und grelle Wahrheit. Aus Leidenschaft! Das ist die Triebfeder von allem, was uns von allen anderen Lebewesen auf dieser Erde unterscheidet - im Guten wie im Bösen (und es gibt das Gute ebenso wie das Böse. Nur die völlig Verworfenen und die Dümmsten leugnen das)."

Karl Markovics

Ich bin fertig

Fürs Erste. Morgen fahre ich auf Urlaub. Schön für dich, werden manche von Ihnen sagen. Ja, sage ich, da haben Sie recht. Salut und bis bald! Jetzt im Ernst!

Ach ja, noch was ... manche fragen sich vielleicht, ob ich die Postings lese, die zu meinen Blog-Einträgen gepostet werden. Gelegentlich. Mehr will ich dazu nicht sagen. Im Einzelnen führte das zu weit - oder zu nah.

Und weil auf die von mir immer angestrebten mindestens 600 Wörter immer noch einige fehlen, hier der Original-Drehbuchauszug der Anfangssequenz von "Superwelt":

Titelsequenz

Unter Wasser/Plastikgebinde/Parkplatz vor Supermarkt

Aus einem dunklen Pünktchen schlüpft ein durchscheinendes Wesen mit schwanzförmigem Körper, feinen Härchen und großem Kopf, auf dem zwei dunkle Augenflecken sitzen; davor ein Paar Fühler und ein greifzangenartiger Maulfortsatz - eine Gelsenlarve.

Titel - Anfang

Das Bild beginnt sich langsam zu weiten. Andere, bereits geschlüpfte Larven schweben in der Flüssigkeit über hellem, zerknittertem Grund, auf dem sich dunkle, grafische Formen abzeichnen.

Am Spiegelrand der Wasseroberfläche hängen ein Dutzend Gelsenlarven aufgereiht nebeneinander, darunter ein paar bereits verpuppte Larven. Aus einer Puppe schlüpft eine Gelse.

Die Kamera taucht aus dem Wasser. Jetzt erst erkennt man, dass es sich um ein zerknülltes Plastiksäckchen mit Werbeaufdruck handelt, in dessen Wölbung sich (wohl noch vom letzten Regen) ein wenig Wasser gesammelt hat. Eine auf der Wasseroberfläche stehende Gelse fliegt davon. Die Kamera bewegt sich weiter nach oben. Wir sehen die brüchige Oberfläche von Asphalt, sehen darin eingeschlossene Minerale in unterschiedlichen Farben glänzen, eine schimmernde Ölspur, eine weiße Begrenzungslinie kreuzt das Bild von oben nach unten. Die Kamera schwenkt nach vorn, und wir erkennen einen großen, leeren Parkplatz, dahinter das hallenartige Gebäude eines Supermarktes, eine Plexiglasremise mit Einkaufswägen und zwei Altglascontainern. Die Lichter im Supermarkt springen flackernd an. (Karl Markovics, derStandard.at, 8.8.2014)