Die Architektin Margarete Schütte-Lihotzky.

Foto: Rudolf Semotan

Wien - "Jetzt seien Sie doch bitte nicht albern!", soll sie mal einen netten Aufseher bei einer Ausstellungseröffnung im Museum für angewandte Kunst abgemahnt haben, als er der mittlerweile weit über 100-Jährigen einen Sessel vor die Füße stellte. "Schaue ich wirklich so alt aus, dass ich die 20 Minuten nicht mehr derstehen kann? Ich bitte Sie, tun Sie das weg!"

Margarete Schütte-Lihotzky, 1897 in Wien geboren, ist eine Galionsfigur der Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Sie war mit Adolf Loos und Bruno Taut befreundet. Sie plante tausende Wohnungen, entwarf unzählige Wohn- und Einrichtungstypen, arbeitete in Deutschland, in Russland, in der Türkei, in Bulgarien, in den USA und auf Kuba.

Im Gegensatz zu vielen männlichen Kollegen entwickelte Margarete Schütte-Lihotzky, die im Alter von nur 21 Jahren ihren Studienabschluss an der Wiener Kunstgewerbeschule machte, von Anfang an einen intensiven Kontakt zu den Menschen, zum Proletariat.

Kurz nach ihrem Studium fuhr sie nach Holland und betreute dort Wiener Arbeiterkinder, die nach dem Ersten Weltkrieg in der Stille der Deiche Erholung finden sollten. Der Dialog mit dem Gegenüber würde sich durch ihr gesamtes Œuvre ziehen.

Ab 1921 arbeitete sie für die erste gemeinnützige Siedlungsgenossenschaft der Kriegsinvaliden Österreichs. Sie wirkte unter anderem an der Planung der Reformsiedlung "Eden" mit und entwickelte in dieser Zeit ein Interesse für die scheinbar kleinen und nichtigen Bereiche des Wohnens. Schütte-Lihotzky entwarf Möbel, beschäftigte sich mit der industriellen Serienproduktion und widmete sich verstärkt jenem Raum der Wohnung, der sie bis an ihr Lebensende klischeehaft verfolgen würde: der Küche.

In ihren Frankfurter Jahren entwickelte sie eine ergonomische Einbauküche der kurzen Wege und wenigen Handgriffe. Rund 10.000-mal wird die von ihr konzipierte Küche im sozialen Massenwohnbau Frankfurts eingebaut. "Ewig Küchen, die sind mir schon beim Hals herausgehangen!", erzählte sie später einmal in einem TV-Interview.

Zeit in der Sowjetunion

1927 heiratete sie ihren Frankfurter Architekturkollegen Wilhelm Schütte, mit dem sie in die Sowjetunion auswanderte, wo sie dutzende Wohnbauten und Kindereinrichtungen plante, ja sogar Stadtplanungskonzepte für Nowosibirsk, Magnitogorsk und Moskau entwickelte. 1937 verließen Margarete Schütte-Lihotzky und ihr Mann die Sowjetunion, lebten in London, Paris, Istanbul.

Und dann der Zweite Weltkrieg. Für einige Wochen nach Wien zurückgekehrt, entging die Kommunistin und brennende Widerstandskämpferin nur knapp der Todesstrafe und landete 1941 bis zur Befreiung durch die Alliierten im Frauenzuchthaus Aichach in Bayern.

Nie wieder sollte es ihr nach Kriegsende gelingen, in Österreich Fuß zu fassen; nicht als Mitglied der KPÖ. Erneut verließ sie Wien, ging wieder ins Ausland, nach Sofia, Peking, New York, Havanna, Berlin. Erst in den späten 1960er-Jahren kehrte die Pensionistin wieder zurück zu ihren Wurzeln, suchte sich eine kleine Wohnung im fünften Bezirk und blieb dort bis zu ihrem Lebensende. Erst im hohen Alter wurde der großen Tochter öffentlicher Respekt zuteil.

Küchenexplosion

Wenige Monate vor ihrem Tod lud Schütte-Lihotzky eine Gruppe von Schüler(inne)n und Studierenden zu sich nach Hause, um aus ihrem Leben zu erzählen. Vorsichtig wagte der Autor dieser Zeilen die Frage, wie es denn sei, als Architektin immer nur auf ein einziges Projekt reduziert zu werden. Weit kam er nicht. Kaum waren die beiden Worte "Frankfurter" und "Küche" gefallen, explodierte die 103-Jährige und schlug ihm um die Ohren: "Ich habe in meinem Leben sehr viel mehr gemacht als nur das. Wenn ich gewusst hätte, dass alle immer nur davon reden, hätte ich diese verdammte Küche nie gebaut!" (Wojciech Czaja, DER STANDARD, 9./10.8.2014)