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Die Aufregung über einen neuen Strich überlagert die Steuerdebatte.

Foto: AP/Fischer

Wien - Keine Latexstiefel, keine Strapse, kein auffälliges Gestikulieren. Nichts an den vier Frauen deutet darauf hin, dass sie gerade anschaffen, also nach Freiern Ausschau halten. In Ballerinas und Jeans stehen sie am Abend gegen 21 Uhr an der Einzingergasse in Wien-Floridsdorf. Ein jede lächelt müde ins Auto, es regnet in Strömen.

Nach dem kürzlich erfolgten Verbot vom Straßenstrich im Prater und Auhof sind die verbleibenden Prostituierten Ende Juli hierher gewandert. Lang werden sie sich wohl nicht bleiben: Es gibt im Gewerbegebiet weder Infrastruktur noch Hotels, dafür reflexartigen Ärger mit einer FPÖ-nahen Kleinpartei namens "Wir für Floridsdorf" (WIFF).

Auf ihrer Facebook-Seite wettert sie gegen "Neo-Österreicher" und den "ausufernden Straßenstrich in Strebersdorf". Von "Müttern, die sich nicht mehr auf die Straße trauen", ist die Rede und von Minderjährigen, die anschaffen gehen würden. Auf Fotos sind auf einem Waldweg liegende Kondome zu sehen, die etwas drapiert wirken.

Die Kommentare darunter ("viele Floridsdorfer planen schon eine Attacke") und der Ruf nach einer Bürgerwacht, wecken Erinnerungen an die Proteste gegen den ehemaligen Straßenstrich in der Felberstraße 2010. Der Streit eskalierte, eine Prostituierte wurde von einer Anrainerin mit heißem Wasser übergossen, später organisierte die Bürgerinitiative einen Fackelzug und nannte sich selbst "Ku Klux Klan am Felberstrich".

Schon damals war die Bezirksvertretung der FPÖ maßgeblich an der Eskalation beteiligt. Dass es in Floridsdorf nicht so weit kommt, dafür setzt sich Helga Pregesbauer ein. Die Anrainerin hat der Bezirksvertretung (SPÖ und ÖVP) in einem offenen Brief geschrieben, wie beschämend sie den Umgang mit Prostituierten findet. "Die Argumente, man müsse die Berufsschüler vor ihrem Anblick schützen und den Menschenhandel bekämpfen, das ist doch vorgeschoben", erklärt sie ihr Engagement, "Prostituierte leben außerhalb der Demokratie."

Prostituierte anstellen?

Die Aufregung um den neuen Straßenstrich hat eine andere, weit größere Veränderung im Rotlichtgewerbe überlagert: Seit 1. Juli gilt nämlich ein umstrittener Erlass des Finanzministeriums, der Prostituierte in ganz Österreich mehrheitlich als Unselbstständige einstuft. Viele Bordellbetreiber müssten sie daher anmelden und Lohnsteuer abführen.

Gängige Praxis war bisher, dass Sexarbeiterinnen als neue Selbstständige gearbeitet haben und einen Pauschalbetrag für die Einkommenssteuer abführten. Das gibt es jetzt nicht mehr.

Es geht um viel Geld, das sowohl die Betreiber als auch die Sexarbeiterinnen mit dem neuen Erlass verlieren würden. Davon abgesehen ist Sexarbeit nur schwer auf Angestelltenbasis vorstellbar: Wer einer Prostituierten Anweisungen gibt, kann theoretisch wegen Zuhälterei nach § 216 angeklagt werden. Wie eine selbstständige Prostituierte den Einkommensnachweis bringen soll, ist auch fraglich.

Aus dem Finanzministerium heißt es dazu, das Weisungsrecht bei Angestellten würde nur die Anwesenheitszeit im Bordell betreffen, nicht aber die Arbeitsweise. Deswegen sei der Vorwurf der Zuhälterei nicht gegeben. Selbstständige Sexarbeiterinnen müssten eben Buch führen, "sowie jeder andere Selbstständige auch", sagt eine Sprecherin des Ministeriums.

Umsetzen will die neue Praxis kaum jemand. Christoph Lielacher, Betreiber des größten Saunaclubs in Österreich, sieht es gelassen. Er denke nicht daran, die Frauen anzumelden. "Sie zahlen mir 70 Euro Tageseintritt, der Mann 80 Euro - das versteuere ich. Was die Frauen am Zimmer verdienen, geht mit nichts an. Ich bin nicht der Zuhälter fürs Finanzamt", erklärt er. Zum Vergleich ein kleines Erotikstudio in Margareten, in dem fünfFrauen arbeiten. Auch dieser Betreiber meldet sie nicht an. "Sie müssten mehr Abgaben zahlen und haben nichts davon," sagt er.

Stimmt, denn trotz Lohnsteuer verbessert sich vorerst nichts für Frauen: Sie bekommen weder Weihnachts- noch Urlaubsgeld. Und eine Arbeitsvermittlung über das AMS wäre wohl auch schwierig. Im Finanzministerium sei man nicht für arbeitsrechtliche Fragen zuständig, heißt es. (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 9./10.8.2014)