Der Bildungswissenschafter Karl Heinz Gruber plädierte an dieser Stelle (Der Standard, 2./3. August) dafür, dass mehrsprachige Mütter mit ihren Kindern möglichst von Geburt an Deutsch sprechen sollten. So eingängig dieser Gedanke auch sein mag, er ließ das Wesentliche ungesagt: Nämlich wie und wann kommt es zu erfolgreicher Mehrsprachigkeit, wenn wir die Mütter und Väter dazu anhalten, von Beginn an mit ihren Babys Deutsch zu sprechen?

Die forcierte Einsprachigkeit basiert nicht auf den Forschungsergebnissen, die sich kritisch mit dem monolingualen Habitus nationaler Bildungsinstitutionen auseinandersetzen und erfolg reiche Zweisprachigkeit untersuchen. Gruber folgt vielmehr der gängigen binären Identitätskons truktion, die ein Entweder-oder-Denken tradiert. Er postuliert, dass man von der fremdsprachigen Migrationskultur zur Mehrheitskultur umsteigen müsse.

Glücklicherweise zeigen die Analysen zur erfolgreichen zweiten Generation, dass es viele Optionen zwischen Rückzug und Abschottung in einer Minderheitskultur und völliger Assimilation in einer einsprachigen Mehrheitskultur gibt. Sprachwissenschaftlich betrachtet lässt Gruber die Einsicht außer Acht, dass ein großer Teil der zugewanderten Mütter im Deutschen wesentlich reduzierte sprachliche Mittel (Wortschatz, Grammatik …) zur Verfügung hat. Die wenigsten studieren Germanistik.

Es ist daher in Einwanderungsländern etablierte Praxis, die Mütter dazu anzuhalten, den vollen Reichtum der Sprache, die für die Mutter-Kind-Kommunikation wichtig ist, in ihrer „stärksten“ Sprache an ihr Kind weiterzugeben. Trotz populärer Verweise auf asiatische „Tiger Mothers“ ist es ein Irrtum zu glauben, dass Einwanderinnen in Kanada oder Australien dazu aufgefordert werden, eine Sprache, in der ihnen Kinderlieder, Reime, Geschichten und andere relevante sprachliche Mittel nicht verfügbar oder vertraut sind, mit ihren Kleinkindern zu benutzen.

Australien ist anders

Im Unterschied zu den Pisa -Ergebnissen europäischer Länder unterscheiden sich die Lese leistungen der Schülerinnen und Schüler, die zu Hause eine andere als die Unterrichtssprache sprechen, in Australien nicht von jenen, die zu Hause nur die Unterrichtssprache sprechen. In der österreichischen Schulstatistik sehen wir auch, dass die Schüler, die zu Hause eine osteuropäische Sprache sprechen, häufiger ins Gymnasium gehen als einsprachig deutschsprachige Schüler.

Die positiv gelebte Mehrsprachigkeit heißt aber nicht, dass zu Hause kein Deutsch gesprochen werden soll oder darf. Es ist sogar von Vorteil, wenn die Kinder erleben, dass die Erwachsenen neben der Familiensprache gut und gerne Deutsch sprechen, im Beruf damit erfolgreich sind.

Das erziehungswissenschaftliche Konzept der bildungssprachlichen Kompetenzen setzt genau dort an, denn es geht um die schichtspezifischen Unterschiede. Der kleine Bub einer hochgebildeten perfekt zweisprachigen Mutter hat ungeachtet dessen, wann er die zweite Sprache zu erlernen beginnt, bei kompetenten Pädagoginnen in Kindergarten und Schule die besten Chancen, zur Elite zu gehören.

Österreich hat Nachholbedarf

Anders ist es um die Kinder der Familien bestellt, in denen die Eltern weniger Kompetenzen, Geld und Zeit zur Verfügung stellen können. Hier ist die Aus- und Weiterbildung der Pädagoginnen gefragt. Die Statistik zeigt, dass es in Österreich noch großen Nachholbedarf gibt. Gruber hat recht, dass erfolgreiche Mehrsprachigkeit neue und differenziertere Konzepte braucht, aber sicher nicht, dass der Druck auf Mütter erhöht werden solle, mit ihren Kindern möglichst früh Deutsch zu sprechen.

PS: Neben der wissenschaftlichen Evidenz spreche ich auch als Mutter. Ich habe mich in Kanada gerade deshalb wohlgefühlt, weil ich nicht auf die Idee gekommen wäre, ich müsste mit meiner Tochter in der Öffentlichkeit geschweige denn zu Hause Englisch sprechen – ich hätte mich gegen solche Empfehlungen verwehrt! (Barbara Herzog-Punzenberger, DER STANDARD, 11.8.2014)