Naomi Shelton & the Gospel Queens: Cold World (Daptone)

Foto: Daptone

Beim Thema Gospel verschließen sich ja bei manchen die Poren. Durchaus verständlich, wenn man nur jene Chöre und Formationen kennt, die jährlich im Advent ihre steifen europäischen Glaubensgenossinnen und -genossen zwecks Kollekte heimsuchen. Selbst weit authentischeren Gospelmusikern gegenüber besteht Skepsis. Dabei muss man nicht gleich eine Katze opfern, nur weil hier auf Basis eines Glaubens gearbeitet wird, den man nicht teilen will oder kann. Schließlich gilt die dem Gospel innewohnende Emotionalität als universell nachvollziehbar, und seine Message lässt sich ohne große Zugeständnisse auch als Zaungast genießen. Die Schnittmengen mit dem Weltlichen sind zudem beträchtlich. Das verdeutlichte einst Ray Charles, der den Unterschied zwischen Gospel und Soulmusik mit dem Austausch der Worte "Jesus" und "Baby" beschrieben hat. Alles andere bleibt gleich. So viel zur Grundlagenarbeit.

Betoniert vor dem Herrn

Naomi Shelton und ihre Gospel Queens, deren Namen wir nur in großer Ehrfurcht aussprechen, sind so etwas wie die geheime Sensation des New Yorker Daptone Labels. Ihr zweites Album Cold World betoniert diese Behauptung vor dem Herrn ein. Daptone hat der Welt Stars wie Sharon Jones oder den "Eagle of Soul", Charles Bradley, beschert. Beide machten mit klassischer Soulmusik in den letzten Jahren internationale Karrieren, beide waren mehrmals in Österreich zu erleben. (Es reicht jetzt wieder, danke). Aber nicht Naomi Shelton.

Will man sie live erleben, muss man nach New York reisen. Dort kann man sie in ihrer Kirche bestaunen, bestenfalls noch in ein paar Clubs im Einzugsgebiet der Stadt. Aber vielleicht ändert sich das ja nun mit Cold World. Denn sagen wir es, wie es ist: Ihre Alben sind die besten des Labels. So mitreißend Jones, Bradley und der gute Rest sein mögen, Shelton schnupft sie alle mit einem Nasenloch. Aber so kompetitiv will man ja gar nicht werden. Die Gospel Queens taten sich 1999 in New York zusammen, drei Jahre später kreuzten sich ihre Wege mit jenem von Gabriel Roth. Das ist der Erzengel von Daptone, der von Madame Shelton und ihren Sisters derart entzückt war, dass er 2008 ihr Debüt veröffentlichte, das atemberaubende What Have You Done My Brother? Gänsehaut beim Gedanken daran! Das war nicht bloß ein Album. Das war als mitreißende Messe ebenso hörbar wie als funky Soundtrack für den Sonntagsbrunch. Ja, da fegt es einem die Butter vom Kipferl, wenn diese Damen einmal stärker ausatmen.

Cold World wurde von Roth nun behutsam in Richtung Funk aufgesext, wenn derlei lästerliche Begrifflichkeit erlaubt sei. Die rustikalen Queens, allesamt im agilen Frühherbst ihres Lebens stehend, brillieren in einem über die Jahrzehnte verinnerlichten Call-and-Response-Gesang mit ihrer Anführerin Naomi.

Mit knarziger, vom Leben und seinen Erfahrungen gefärbter Stimme gibt sie die Richtung vor. Die Instrumentierung ist tight, die Snare Drum reiner Funk. Die Hammondorgel massiert Hörerherzen, die Stimmung lässt jubilieren, selbst wenn das Titelstück natürlich Beschwerdegospel ist. Darin offenbart sich das politische Moment dieser Musik.

Memoriert man die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung, wäre diese ohne den Rückhalt aus den afroamerikanischen Kirchen nicht denkbar gewesen. Sie stellten diese Bewegung auf ein Fundament, das stärker war als Waffen und Rassismus. Die Erfahrung der Unterdrückung schwingt in jedem Gospelsong mit, genauso wie die Hoffnung, sie zu überwinden. Das schuf ein Vokabular und eine Form, die einen schwerlich unberührt lassen. Shelton ist darin eine Weltmeisterin.

Am Ende gipfelt dieses Meisterwerk in Everybody Knows (River Song), einen Titel des großen Soulsängers O. V. Wright. Mehr hat es nicht gebraucht. Der spielte mit der Intensität des Gospels wie wenig andere. Auch diese Referenz adelt die Queens, die mit Cold World ein Album des Jahres vorlegen. Am Ende steht hier deshalb das Unvermeidliche, ein Halleluja. (Karl Fluch, Rondo, DER STANDARD, 14.8.2014)