"Fußballer des Jahrhunderts" Herbert Prohaska und Familienministerin Sophie Karmasin sprechen sich gegen den Leistungsdruck, der auf vielen Kindern lastet, aus.

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Prohaska: "Es ist nichts Herabsetzendes, wenn die Frau kocht und auf die Kinder schaut".

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Karmasin: "Mir ist wichtig, dass man nicht alles aus
banalen Gründe oder weil eine Liebelei in Aussicht ist, über Board wirft".

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STANDARD: Viele fragen sich, ob sie sich ein Kind zutrauen sollen. Was muss man heutzutage seinem Kind bieten?

Karmasin: Liebe, volle Akzeptanz, Sicherheit und Unterstützung. Man muss Zeit haben, sonst funktioniert Liebe und Kommunikation nicht. Und es braucht Bildungsmöglichkeiten und die Freiheit, dass sie sich dort hinentwickeln können, wo sie hinwollen.

Prohaska: Das Wichtigste ist: Kinder wollen beschäftigt werden. Sie brauchen die Eltern und müssen das Gefühl haben, dass diese für sie da sind.

Karmasin: Wir müssen aufpassen. Man versucht die Kinder ab der ersten Lebenswoche in Baby-Yoga und Esoterik für Säuglinge zu bringen. Sprachkurse stehen ab dem sechsten Monat an. Wir dürfen die Kinder mit Bildungs- und Unterstützungsangeboten nicht zupflastern. Man muss Langeweile entstehen und Kinder sich auch entwickeln lassen.

STANDARD: Dahinter steht mitunter die Angst vieler Eltern, dass ihre Kinder in Zukunft mit der Leistungsgesellschaft nicht mithalten können.

Karmasin: Ich verstehe das Motiv, aber ich denke, es ist der falsche Weg, den Kindern alles vorzugeben und sie damit in einer passiven Rolle zu lassen. Sie sollen Selbstinitiative und Neugier entwickeln. Sonst wachen sie am Ende auf und wissen nicht, wie man sein Leben gestaltet.

Prohaska: Bereits wenn Kinder geboren sind, steht fest, dass sie später in ein Gymnasium gehen sollen. Wir haben immer gesagt, wir entscheiden aufgrund der schulischen Leistung, ob die Kinder ins Gymnasium kommen sollen. Meine Töchter sind zuerst in die Hauptschule gegangen und später umgestiegen. Beide haben maturiert. Statt lauter Einser und Zweier im Zeugnis war mir am wichtigsten, dass sie durchkommen. Das habe ich von meinen Eltern so mitbekommen. Die haben immer gesagt: Bitte nur nicht sitzenbleiben, sonst richten uns die Nachbarn aus.

Karmasin: Wir haben gerade einen kleinen Ratgeber für Eltern herausgegeben, in dem dieses Thema behandelt wird. Es geht darum, nicht Druck aufzubauen oder Vorhaltungen zu machen, wenn eine schlechte Note kommt. Kinder müssen unterstützt werden, anstatt sie auf emotionaler Ebene zu maßregeln.

STANDARD: Wie kann man den Eltern die Zukunftsangst um ihre Kinder nehmen?

Karmasin: Es ist legitim, das Beste für sein Kind zu wollen. Aber die Strategien, das zu erreichen, muss man sich gut überlegen. Es wäre gut, Gelassenheit zu entwickeln, denn nicht jedes Kind muss in ein Gymnasium gehen. Es gibt hervorragende Lehrberufe, die viel zu wenig wertgeschätzt werden. Lehre und Matura halte ich für ein großartiges System. Das habe ich mir auch für meine Kinder überlegt.

STANDARD: Viele sagen, sie können sich ein Kind oder auch ein weiteres Kind nicht leisten.

Karmasin: Natürlich sind die Finanzen ein Thema, Kinder kosten viel Geld. Dennoch: Der Kinderwunsch ist ein ureigener Instinkt. Die Entscheidung ist sehr emotional und intuitiv. So wie das auch bei der Partnerwahl hoffentlich der Fall ist.

Prohaska: Die Frage, ob man sich ein Kind leisten kann, ist kein schlechter Gedanke. Vielleicht bekommt man seine Kinder etwas später. Jene, denen es besser geht, haben es natürlich leichter. Aber ich denke, in der heutigen Zeit kann jeder Kinder bekommen.

Karmasin: Für junge, gut gebildete Frauen geht es weniger um die Finanzen als um die Vereinbarkeit mit dem Beruf. Die Frage ist außerdem, ob es überhaupt eine Partnerschaft gibt.

Prohaska: Viele Frauen wollen sich ab einem gewissen Alter verwirklichen. Da passen Kinder oft nicht so gut hinein.

Karmasin: Verwirklichen kann man sich ja auch mit Kindern.

Prohaska: Das hängt auch von der Position ab. In Ihrem Beruf wird es schwer sein, Zeit zu finden. Das soll kein Vorwurf sein.

Karmasin: Für mich ist Familie meine erste Priorität. Da muss man eben auch sehr diszipliniert sein und sagen, dass man bestimmte Abendtermine nicht wahrnimmt.

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STANDARD: Wird das von Ihrem Umfeld akzeptiert?

Karmasin: Es wird wider Erwarten akzeptiert.

Prohaska: Ich hatte in meiner aktiven Zeit zu wenig Zeit für die Kinder. Seit 14 Jahren bin ich nicht mehr Trainer. Jetzt ist es herrlich: Ich habe viel Zeit für unsere Enkelkinder. Als meine erste Tochter ein Jahr alt war, sind wir nach Mailand gegangen. Für meine Frau war das in den ersten Monaten unheimlich schwer. Wir hatten dann gemeinsam die genialste Idee und haben unsere Schwiegermutter, die geschieden war, eingeladen, zu uns zu kommen und für immer bei uns zu bleiben. Sie hat ihren Job in Wien aufgegeben und lebt heute noch bei uns.

Karmasin: Man sieht, dass moderne Männer Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen. Man muss nur Rahmenbedingungen schaffen, damit das gelingt.

STANDARD: Herr Prohaska, haben Sie bei Ihren Kindern die Windeln gewechselt?

Prohaska: Ja, aber selten, weil Frau und Schwiegermutter es nie von mir verlangt haben.

STANDARD: Ist bei den Männern eine Unsicherheit entstanden, was die Rollenaufteilung betrifft?

Prohaska: Männer sind heute viel eher dazu bereit, bei den Kindern zu Hause zu bleiben. Das wäre früher tabu gewesen, als Mann hätte man sich geniert. Im Urlaub habe ich auch allein aufs Enkerl geschaut und Mittagessen gemacht. Das hätte mir auch früher sehr, sehr viel Spaß gemacht.

Karmasin: Männer in Österreich entsprechen diesem Bild vor allem verbal und in Ausnahmesituationen. Zum Beispiel wenn Gäste kommen, dann wird groß aufgekocht. Aber der Alltag bleibt den Frauen. Es gibt viel verbale Aufgeschlossenheit bei relativer Verhaltensstarre.

Prohaska: Das stimmt. Es ist nichts Herabsetzendes, wenn die Frau kocht und auf die Kinder schaut. Der Mann muss es würdigen.

Karmasin: Jeder soll machen, was er will. Ich bin nur dafür, dass beide Geschlechter zu allen Lebensbereichen Zugang haben.

STANDARD: Die hohen Scheidungsraten sprechen dagegen, gar nicht erwerbstätig zu sein.

Karmasin: Ja, das ist ein gefährliches Modell. In Zeiten wie diesen, wo jede zweite Ehe geschieden wird und Arbeitsplätze verlorengehen, ist es sicherer, wenn beide ein finanzielles Standbein haben.

Prohaska: Wir feiern dieses Jahr den 40. Hochzeitstag. Bei uns war die Scheidung nie ein Thema. Aber viele lassen sich aus banalen Gründen scheiden lassen.

STANDARD: Ist der Herrentag, den Sie immer am Montag abhalten, das Geheimnis Ihrer Ehe?

Prohaska: Nein. Wenn meine Frau gesagt hätte, sie hätte ein Problem, wenn ich den ganzen Tag auf dem Tennisplatz bin, würde ich nur einen halben Tag oder gar nicht hingehen.

Karmasin: Das nenne ich Partnerschaftlichkeit. Das ist gut.

STANDARD: Ist es Aufgabe einer Familienministerin, darüber nachzudenken, wie man die Scheidungsrate senken kann?

Karmasin: Wenn es nicht mehr passt, dann ist es auch richtig, dass eine Beziehung auseinandergeht. Aber: Die Familie ist sehr wertvoll, sie hat einen großen Stellenwert. Dass sollte man stärker herausheben. Mir ist wichtig, dass man nicht alles aus banalen Gründen oder weil eine Liebelei in Aussicht ist, über Bord wirft.

STANDARD: Frau Ministerin, wie würden Sie Herrn Prohaska davon überzeugen, dass er sich gleichwertig an der Hausarbeit beteiligt?

Karmasin: Ich bin ja auch Psychologin, und ich glaube, dass Sie einen guten Zugang zu Partnerschaftlichkeit haben.

Prohaska: Wir sind zu dritt, und bei uns gibt es Halbe-halbe. Das macht die Schwiegermutter mit der Frau. Sie lassen mich nicht.

Karamsin (lacht): Na gut, dann irre ich mich. Aber ich denke, die Damen würden schon nachgeben.

STANDARD: Herr Prohaska, die ÖVP tut sich schwer in der Frage, ob homosexuelle Paare Kinder adoptieren dürfen. Wie denken Sie?

Prohaska: Ich bin kein Experte, aber warum sollen homosexuelle Paare keine Kinder adoptieren dürfen? Die Frage, die sich das Paar stellen muss, ist, wie das Kind damit umgeht. Ich kann mir vorstellen, dass das am Anfang für Kinder schwer ist.

Karmasin: Irgendwann muss man sich politisch entscheiden, was oberste Priorität hat. Das Wohl des Kindes oder der Wunsch eines homosexuellen Paares, ein Kind zu bekommen. Wobei ich nicht werten möchte, dass es einem Kind bei einem homosexuellen Paar schlecht geht.

Prohaska: Ich bin für das Wohl des Kindes. Irgendwann wird sich das Kind fragen, wieso habe ich keine Mutter oder keinen Vater.

STANDARD: In Wien dürfen homosexuelle Paare Pflegekinder aufnehmen. Ist das für diese Kinder schädlich?

Karmasin: Nein, überhaupt nicht. Aus der Logik des Kindes betrachtet, ist es besser, in einem Familienumfeld aufzuwachsen als in einer Einrichtung. Und es ist schon ein Unterschied, ob es ein Pflege- oder ein Adoptivkind ist. Ich setze mich dafür ein, dass homosexuelle Paare in ganz Österreich besser unterstützt werden, wenn sie Pflegekinder aufnehmen. Dass sie nicht in Karenz gehen können, ist Diskriminierung. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 15.8.2014)