Willie Nelson (81) hat ein paar Lieder geschrieben und daraus ein Album gemacht. Das Alterswerk, das kann warten.

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Keine Rauchpause, Geschichte wird gemacht, es geht voran. Immerhin legalisieren gerade immer mehr US-amerikanische Bundesstaaten Marihuana. Das beschert da weniger Kriminalisierung und gleichzeitig dringend benötigte Einnahmen dort. Hätte man auf einen Experten wie Willie Nelson gehört, die USA befänden sich längst im Goldenen Zeitalter. Aber selbst ein substanzenerfahrener Präsident schart lieber thematische Trockenschwimmer um sich als erfahrene Tiefseetaucher wie Willie. Dabei hat er auch heuer auf seine Expertise verwiesen, als er zum Record Store Day eine Single veröffentlichte. Der Song darauf trug den Titel Roll Me Up And Smoke Me When I Die.

Wie gesund diese Einstellung ist, dafür ist Nelson selbst das beste Beispiel. Nelson ist seit heuer 81 und erfreut sich bester Gesundheit. Der Countrysänger und Songschreiber wohnt auf Hawaii, sein Nachbar dort ist Kris Kristofferson. Was die beiden im Garten anbauen, das möchte man einmal rauchen. Aber bevor wir hier den Verdacht erhärten, es handle sich um die Gartenseite, kommen wir zum eigentlichen Anlass dieser Nachdenklichkeit: Willie Nelson hat ein neues Album veröffentlicht.

Dringend notwendige Schande

Gut, bei rund 70 regulären Studioalben ist das keine Sensation, aber für Band of Brothers hat er wieder einmal selbst Songs geschrieben. Das hat er in den letzten Jahren trotz regelmäßiger Veröffentlichungen nicht getan. Bitte, irgendeine Form von Ruhestand muss selbst ein Countrymusic-Superstar genießen dürfen. Rund 50 Millionen Alben soll er allein in den USA verkauft haben, wie viele es abseits der Mutterscholle sind, weiß wohl nicht einmal er selbst.

Dabei gilt Nelson als untypischer Vertreter des Fachs. Geboren in fucking Texas, brachte er ein wenig dringend notwendige Schande über den Redneck- und Bible-Belt, als er zum Country Outlaw wurde. So wurde eine lose Blase von Country-Musikern in und um Nashville genannt, die in den 1960ern von den Idealen der Gegenkultur mehr angetan waren als von den zu Brettern gestärkten Anzügen ihrer Kollegen, aus denen heraus die kleine Welt des Country und Western mit dem Tunnelblick betrachtet wurde. Als verwandte "Outlaws" galten Johnny Cash, Waylon Jennings oder der erzkonservative Merle Haggard, der vor allem ob seiner Knasterfahrung und seines Daseins als wilder Hund diesem Fach zugerechnet wurde.

Seit damals ist in Tennessee viel Whiskey verkauft worden, manch einer der „Outlaws“ liegt längst unsterblich unter der Erde, nicht aber Willie. Dessen letztes großartiges Album liegt zwar schon ein paar Fässer weit zurück, es hieß Spirit und datiert auf 1996. Ein spartanisch instrumentiertes inwendiges Meisterwerk, das damals im Lärm um das Comeback des Johnny Cash ein wenig unterging.

Band of Brothers kommt Spirit nicht nahe, doch es überrascht mit einem optimistisch-fröhlichen Grundton. Das zeitigt herrlich trotzige Lieder wie Used To Her, eine Abrechnung mit einer Frau, die dem Erzähler nicht viel Gutes im Leben gebracht hat. Da hüpft das Piano wie das Beserlschlagzeug, und Nelson klingt wie ein 20-jähriger Schelm. Das muss man einmal zusammenbringen. Im Balladenfach ist er jedoch am besten, dort, wo er sich Zeit lässt, entwickelt er die schönsten Geschichten, das Titelstück ist diesbezüglich Hausmarke.

Einwände gegen Band of Brothers bestehen nur wegen der stellenweisen Überproduktion, die sich im Einsatz eines Synthesizers in The Git Go niederschlägt. Den braucht niemand. Wie gut es ohne geht, zeigt er in Hard to be an Outlaw. Eine autobiografische Schnurre, in der Nelson seiner löchrigen Akustischen ein verwegenes Solo entlockt. Und weiter macht er wieder wie ein junger Hupfer in Crazy like Me. Den Nelson, den raucht noch länger niemand. (Karl Fluch, Rondo, DER STANDARD, 22.8.2014)