Wieder einmal liest man, die niedrigen Altmieten seien ungerecht, ja sie seien sogar (mit) schuld an der Wohnungsnot, weil die "Witwen oder älteren Ehepaare in viel zu großen Wohnungen sitzen", sie seien sogar "die Quelle eines echten gesellschaftlichen Problems"; denn sie "verringern das Wohnraumangebot für die, die es brauchen könnten, Familien mit mehreren Kindern etwa" (Eric Frey in seinem Blog auf derStandard.at).

Merkwürdig: Ausgerechnet die Altmieter in einer Großwohnung sind also schuld an der Wohnungsnot. Zwischenfrage: Soll man diese Mieter aus ihren Wohnungen rauswerfen, oder genügt es, ihnen die Miete zu erhöhen? Was gewiss den Vermieter freuen wird, aber das Problem nicht lösen würde. Die dritte Lösung wäre eine größere Portion Gift, aber das wollen wir niemandem unterstellen.

Andererseits: Was ist mit der Witwe, die in einer Fünf-Zimmer-Eigentumswohnung wohnt? - Wenn es um die Wohnungsnot geht, warum wirft man nicht auch sie aus ihrer Wohnung?

Nein, so einfach ist die Welt nicht: Fangen wir beim Vermieter an, der ja der erste "Leidtragende" aus den niedrigen Altmieten ist. Niedrige Altmieten auf der Grundlage des früheren Friedensmietzinses gibt es seit 1916. Wer daher in den vergangenen Jahrzehnten ein Miethaus gekauft hat, hat dafür einen Preis gezahlt, der dem geringen Ertrag zum Zeitpunkt des Kaufs entsprochen hat.

Daher waren Miethäuser in den vergangenen Jahrzehnten, vor allem vor der ersten großen Mietreform 1968, um einen Pappenstiel zu haben, weil sie praktisch keinen Ertrag hatten. Häuser, die heute Millionen Euro wert sind, kosteten damals einige hunderttausend Schilling.

Der Hauseigentümer, der sich heute über niedrige Mieten beklagt, sollte lieber nachsehen, wie viel er für das Haus seinerzeit gezahlt hat. - Niedrige Mieteinnahmen bedeuten einen niedrigen Kaufpreis. Das ist ein Naturgesetz der Ökonomie.

Eine Chuzpe

Verlangt daher der Hauseigentümer vom Gesetzgeber eine Anhebung der Altmieten, dann ist das eine Chuzpe: Zuerst bezahlt er - wegen der niedrigen Mieten - einen niedrigen Kaufpreis, und im nächsten Schritt will er höhere Mieten.

Aber auch der Altmieter ist mit der niedrigen Miete nicht so ungerecht begünstigt, wie gerne behauptet wird: In der Zeit des Friedensmietzinses haben die Mieter regelmäßig Ablösen gezahlt: Wer genug Geld hatte, kaufte sich in der Nachkriegszeit eine geförderte Eigentumswohnung. Wer dagegen weniger Geld hatte, "kaufte" sich eine Mietwohnung und erhielt als Gegenleistung für die Ablöse das Mietrecht zu einer niedrigeren Miete und ein Weitergaberecht innerhalb der Familie. Auch wenn Ablösezahlungen verboten waren, waren sie dennoch üblich und wurden anstandslos bezahlt.

Das galt auch noch nach der Freigabe des Mietzinses nach 1968: Für 100.000 Schilling Ablöse verringerte sich die Miete um 1000 Schilling monatlich. Das war die Faustregel am freien Markt: Genauso wie der Käufer einer Eigentumswohnung sich das Eigentumsrecht gekauft hat, hat sich der Mieter das Mietrecht "gekauft". Gelegentlich gibt es solche Vereinbarungen auch heute noch.

Dem Käufer eines Miethauses mit Altmietern kann es aber auch gleichgültig sein, ob der Mieter an den Voreigentümer eine Ablöse gezahlt hat: Er hat jedenfalls eine den niedrigen Mieteinnahmen entsprechenden niedrigen marktgerechten Kaufpreis gezahlt. Zwar hat der Hauseigentümer heute einen höheren Erhaltungsaufwand als früher, doch zahlt auch der Mieter heute mehr als den früheren Friedensmietzins.

Eine Mär ist es auch, dass ein neuer Mieter mehr Miete bezahlen muss, weil sein Nachbar als Altmieter weniger zahlt. Die Miete des neuen Mieters orientiert sich am Markt und ändert sich nicht deshalb, weil sein Nachbar eine niedrige oder hohe Miete bezahlt. Auch am Wohnungsmarkt ändern sich die Mieten nicht, wenn den Altmietern höhere Mieten abverlangt würden, es sei denn, die Mietenerhöhung würde dazu führen, dass Altmieter scharenweise aus ihren Wohnungen vertrieben werden und die freigewordenen Wohnungen den Markt überschwemmen. Vor allem aber: Warum ein vor 50 Jahren erworbenes Mietrecht weniger schutzwürdig ist als ein vor 50 Jahren erworbenes Eigentumsrecht, das muss man erst einmal erklären.

Ein Fest für den Hauseigentümer war die Anhebung der Geschäftsmieten auf die Markthöhe sogar im Fall der Weitergabe des Lokals an die eigenen Kinder: Ein massenhaftes Sterben von Familienbetrieben war die Folge. Zugleich explodierte der Wert der Häuser in den Hauptgeschäftsstraßen, ohne dass der Hauseigentümer auch nur einen Cent investieren musste.

Ähnlich wäre das Ergebnis, würde man bei Wohnungen in die Altmietverträge eingreifen, wobei allerdings ihre Zahl weit überschätzt werden dürfte. Das Wohnungsrecht und der Wohnungsmarkt sind ein Bereich, der sich über Jahrzehnte entwickelt hat; wer diese Entwicklung nicht kennt oder nicht berücksichtigt, kommt notwendigerweise zu Fehlschlüssen. (Werner Doralt, DER STANDARD, 25.8.2014)