Leonardo da Vincis Homo vitruvianus zeigt die idealisierten Proportionen des Menschen.

Foto: Luc Viatour

Heidelberg/Wien - Der Süßwasserpolyp Hydra, der zu den mehr als 600 Millionen Jahre alten Nesseltieren gehört, ist auf den ersten Blick ein unscheinbares Lebewesen. Dabei fasziniert der Polyp Forscher schon lange: Er vermehrt er sich asexuell durch Knospen, kann defekte Zellen unbegrenzt erneuern und ist das einzige bekannte Tier, dass auch seine Nerven vollständig regenerieren kann.

Hydra könnte aber auch dabei helfen, unsere eigene Evolution besser zu verstehen, genauer: die Entstehung unserer Körperachsen. Das berichten Forscher aus Wien und Heidelberg aktuell im Fachblatt "Nature". Die Wissenschafter konnten den Vermehrungsprozess, bei dem seitlich am Muttertier Knospen neuer Tochterpolypen entstehen, molekular aufklären. Das Erstaunliche: Die Vorgänge, die sich dabei auf molekularer Ebene abspielen, ähneln denen bei der Entstehung der Körperachsen in frühen Embryonen von Wirbeltieren frappant.

Drei Körperachsen

Ein Hinweis auf eine der zentralen Fragen der Biologie: Was macht den Grundtypus des tierischen Bauplans aus und wie haben sich daraus alle komplexeren Formen entwickelt, einschließlich der des Menschen? Im einfachsten Fall lässt sich dieser Körperbauplan durch die drei Raumachsen beschreiben, so wie sie in einem kartesischen Koordinatensystem definiert sind.

Bei diesen drei Körperachsen (sie entsprechen den aus der Geometrie bekannten X-, Y- und Z-Achsen) handelt es sich um die Anterior-Posterior-Achse (AP), welche die Position eines vorderen Mundes und hinteren Afters bestimmt, die Dorsal-Ventral-Achse (DV), mit dem bei Wirbeltieren oben gelegenen Rücken und unteren Bauch, sowie um die Links-Rechts-Achse (LR) mit der spiegelbildlich symmetrischen Anlage unserer Extremitäten und der Links-Rechts-Asymmetrie der Organe.

Brüche in der Symmetrie

Diese drei Körperachsen werden früh in der Embryonalentwicklung festgelegt. Wenn aus einer befruchteten und sich dann fortlaufend teilenden Eizelle zunächst ein kugelförmiger undifferenzierter "Zellhaufen" entsteht, wird beim frühen Embryo zuerst jene Position bestimmt, an der die erste Körperöffnung entsteht, welche zugleich die AP-Achse definiert. "Dieser Prozess lässt sich geometrisch als Symmetriebruch beschreiben, und ihm folgen weitere Symmetriebrüche, die zur Festlegung der zwei anderen Achsen führen", erläutert Thomas Holstein vom Center for Organismal Studies (COS).

Die genetische Basis für jede dieser Körperachsen wurde in der Embryonalentwicklung des Menschen, anderer Wirbeltiere, aber auch von Insekten und Würmern bereits identifiziert. Es sind evolutionär konservierte molekulare Signalsysteme, die als "molekulare Vektoren" jeweils eine Körperachse definieren und die Entstehung verschiedener Zelltypen steuern. Viele dieser sogenannten Entwicklungsgene spielen nicht zuletzt auch bei der Krebsentstehung eine große Rolle.

Der Süßwasserpolyp Hydra besitzt nur eine einzelne klar definierte Körperachse mit einer Körperöffnung. Bei ihren molekularen Analysen von Stammzellen und Wnt-Proteinen des Nesseltieres identifizierten die Forscher nun den sogenannten Nodal-Signalweg in diesem evolutionär ursprünglichen System: "Bisher war dieser Signalweg nur aus bilateral symmetrischen Tieren bekannt, wo er an der Etablierung eines Signalzentrums der frühen Embryonalentwicklung und der Links-Rechts-Asymmetrie beteiligt ist", so Hiroshi Watanabe aus der Forschungsgruppe.

Ähnliche Kernprozesse

Mit verschiedenen pharmakologischen und genetischen Experimenten konnten die Wissenschafter zeigen, dass auch in Hydra ein Nodal-artiges Gen zusammen mit Ziel-Genen des aktivierten Nodal-Signalwegs an der asymmetrischen Anlage der Knospen beteiligt ist. Sie konnten damit zum ersten Mal die Existenz und Beteiligung des Nodal-Signalwegs bei der Achseninduktion in einem "radiär" symmetrischen Organismus zeigen.

"Wir gehen davon aus, dass dies ein Startpunkt in der Evolution für die Links-Rechts-Achsenbildung in den bilateral symmetrischen Tieren war. Zu identifizieren, auf welche Weise sich daraus evolutionär der komplexe Bauplan der Bilateria entwickelt hat, eröffnet weitere spannende Forschungsfragen", so Holstein. Die Arbeiten würden aber schon jetzt zeigen, wie ähnlich auf molekularer Ebene die Kernprozesse in der Embryonalentwicklung zwischen den einfachen Nesseltieren und den Wirbeltieren einschließlich des Menschen sind. (red, derStandard.at, 25.8.2014)