Die Kirche Santa Maria di Paganica in L'Aquila 2010. Heute gibt es ein provisorisches Dach.

Foto: Donau-Uni Krems

Mühevolle Gebäuderekonstruktion in der Altstadt von L'Aquila: Die Stützkonstruktion von Santa Maria del Suffragio wurde per Helikopter ins Kircheninnere gebracht und innen aufgeklappt.

Foto: Donau-Uni Krems

Krems/L'Aquila - Gespenstische Stille. Kein Strom, also auch kein Licht, militärisches Sperrgebiet mit strengen Zugangsregeln. So erinnert sich Christian Hanus, Projektleiter der Wiederaufbauhilfe durch die Donau-Universität Krems, seinen ersten Aufenthalt in Paganica. Der italienische Ort zählt zu den am stärksten vom schweren Erdbeben vom 6. April 2009 betroffenen historischen Städten um L'Aquila in den Abruzzen. Mehr als 65.000 Menschen haben in der Region damals ihr Dach über dem Kopf verloren, mehr als 300 ihr Leben.

Seit 2010 haben Studierende der Donau-Uni Krems im Rahmen von Projektwochen des Universitätslehrgangs "Sanierung und Revitalisierung" strategische Konzepte für den Wiederaufbau erdbebenzerstörter Altstädte in der Region entwickelt. "Es ist lange nichts vorwärtsgegangen in Paganica", erzählt Hanus, Leiter des Departments für Bauen und Umwelt, "es gab keine Zugangswege, keine Lagerflächen für Baumaterial und lauter einzelne Eigentümer, die vertraglich an unterschiedliche Baufirmen gebunden waren." Vor allem Letzteres habe zu Schwierigkeiten geführt. "Da etwas zu ändern, war ein langwieriger Prozess", sagt Hanus. "Wir waren neutral, das war ein großer Vorteil."

27 Häuser im Altstadtkern

Erst Ende 2011 kam man mit der Gründung des Consorzio Il Castello" dem Ziel, das historische Zentrum zu sanieren und zu revitalisieren, einen bedeutenden Schritt näher. Dieses Konsortium hat die Bauherrenfunktion für den Altstadtkern mit zwei jeweils aus 27 zusammenhängenden Häusern bestehenden Einheiten übernommen. "Wir, also die Uni Krems, sind kein Teil des Konsortiums, sondern übernehmen die wissenschaftliche Begleitung in enger Zusammenarbeit mit lokalen Technikern, Soziologen und Ingenieuren", sagt Hanus. Und: "Das ist richtige Detektivarbeit."

Zu den meisten Häusern habe es nämlich keinerlei Planmaterial gegeben. "Wir haben die Leute befragt, sie um alte Fotos, zum Beispiel von der Erstkommunion, gebeten, und auf dieser Basis rekonstruiert, wie die meist mittelalterlichen Häuser ausgesehen haben." Nach dieser Bauteilanalyse habe man erst Straßenzüge, dann erst die innere Struktur der Häuser zu rekonstruieren versucht. "Die Einbeziehung der Anwohner ist also ein ganz wichtiges Element, zudem wollen wir die Trümmer wiederverwenden, das ist ein wertvoller Baustoff", erklärt Hanus.

Enttäuschung und Depression

Nach einem "schwierigen Start" sei er also zuversichtlich, dass "binnen fünf Jahren die Ortschaften wieder einigermaßen aufgebaut" würden. Das sei insofern wichtig, als das Erdbeben auch "das ökonomische, soziale, konfessionelle Leben" der Menschen beschädigt habe. Der erste Schritt nach der Zerstörung sei ein Dach über dem Kopf gewesen, und sei es in Form eines Zeltes. Dann habe man in einem zweiten Schritt Baracken und Temporärbauten errichtet. Aber es fehlten "das Identitätsstiftende, die Tagesabläufe". Dadurch sei bei vielen, vor allem älteren Menschen "eine Enttäuschung aufgekommen, die bis zur Depression und Verzweiflung geht", beschreibt es Hanus. "Die fragen sich: Werde ich das noch erleben?"

Auch in dieser Hinsicht habe man mit Soziologen zusammengearbeitet, die dabei geholfen hätten, den gordischen Knoten der Konsortiumsbildung zu lösen. Auch bei der Finanzverteilung habe es in der Region "Probleme" und eine "Reihe von Ungereimtheiten" gegeben, wie es Hanus diplomatisch ausdrückt. "So bitter es ist, da verstehe ich gewisse Vorbehalte seitens Österreich schon", sagt er. Auch die rechtlichen Grundlagen für den Wiederaufbau hätten in vielerlei Hinsicht erst geschaffen werden müssen.

"Bis auch die letzten Häuser wieder aufgebaut sind, wird es wohl noch 20 Jahre dauern", schätzt Hanus. Erst als die Räumung und die Sicherung abgeschlossen waren, konnte ja überhaupt erst mit der Rekonstruktion begonnen werden, erzählt er und zeigt Bilder von dem schwer zu fassenden Ausmaß der Zerstörung, das in Paganica geherrscht hatte. Die italienischen Techniker seien bei der Stabilisierung mit einer sehr beeindruckenden Behutsamkeit vorgegangen, zum Teil habe man wegen der Einsturzgefahr Roboterkameras einsetzen müssen.

Neben dem "Technologievorsprung der Italiener in Sachen Stabilisierung", er spricht von "richtigen Kunstwerken", lobt er die Herzlichkeit der Menschen: "Wir sind noch in den Trümmern bewirtet worden." Und: "Es ist beeindruckend, wie sie trotz der Misere ihren Lebensstil bewahren wollen." Die ersten beiden Geschäfte, die in der völlig zerstörten Altstadt wiedereröffnet hätten, waren eine Vinothek und ein Espresso. (Tanja Paar, DER STANDARD, 27.8.2014)