Christo: "Unsere Projekte schauen nur so groß aus, weil sie ohne Nutzen sind."

Foto: Luiza Puiu / European Forum Alpbach

STANDARD: Ist das Ihr erstes Mal in Alpbach?

Christo: In Tirol war ich schon öfter. Aber ja, in Alpbach bin ich zum ersten Mal. Ein wunderschönes Dorf.

STANDARD: Schon eine Idee, was Sie hier am liebsten einpacken würden?

Christo: Gar nichts. Dafür ist dieser Ort viel zu schön.

STANDARD: Muss ein Ort denn hässlich sein, um von Ihnen verhüllt zu werden?

Christo: Hässlich vielleicht nicht, aber es sind meist ganz normale, ganz gewöhnliche Orte, mit denen wir uns auseinandersetzen. Jeder Ort kann reizvoll sein, auch der banalste Ort auf Erden.

STANDARD: Die meisten Ihrer Projekte ziehen sich über viele Jahre und werden von den Behörden immer wieder abgelehnt. Wie gehen Sie mit dem Frust um?

Christo: Wir müssen teure Studien und Bewilligungsverfahren in Auftrag geben. Und manche Projekte werden nach dem fünften Anlauf immer noch abgelehnt. Das ist wirklich frustrierend. Manchmal rennen wir schreiend aus Besprechungen raus oder sind wütend auf die ganze Welt. Dann fragen wir uns: Was haben wir jetzt schon wieder falsch gemacht? In 50 Jahren haben wir bloß 22 Projekte realisieren können.

STANDARD: Ihr nächstes großes Projekt ist "Over the River". Dabei soll der Arkansas River in Colorado auf einer Länge von zehn Kilometern zugedeckt werden. Nächstes Jahr soll das Projekt realisiert werden. Wird es diesmal klappen?

Christo: Das Projekt wurde schon einige Male abgelehnt, aber ja, diesmal sind wir so nah dran wie noch nie. Wir haben fast alle Bewilligungen, sämtliche Materialtests sind überstanden, und sogar die Tiere wurden bereits beobachtet und getrackt. Wir rechnen damit, dass wir den Termin halten können. Das müssen wir auch, schließlich zahlen wir der US-amerikanischen Regierung 167.000 US-Dollar (umgerechnet rund 127.000 Euro) Jahresmiete für das Grundstück.

STANDARD: Früher haben Sie Ihre Projekte finanziert, indem Sie Ihre Zeichnungen und Collagen verkauft haben. Ist das noch immer so?

Christo: Das System ist immer noch das gleiche: Sammler, Galeristen und Museumsleiter kommen zu uns nach Hause und kaufen Originalzeichnungen. So kommen wir zu Geld. Daran hat sich nichts geändert.

STANDARD: Seit 1977 arbeiten Sie an "Mastaba". Das ist eine 150 Meter hohe Skulptur in Abu Dhabi, die aus mehr als 400.000 Ölfässern errichtet werden soll. Werden Sie das Projekt jemals realisieren?

Christo: In meinem Leben will ich noch drei Dinge: Ich will gesund bleiben, ich will Over the River bauen, und ich will Mastaba realisieren. Derzeit arbeiten wir mit Jörg Schlaich (bekannter Stuttgarter Bauingenieur, Anm.) an der Konstruktion. Wir sind schon sehr weit.

STANDARD: Dieses Ding ist eine ziemliche Kritik an der Wirtschaftspolitik der Vereinigten Arabischen Emirate. Werden Sie eine Bewilligung bekommen?

Christo: Wir sind so nah dran wie noch nie. Aber ich gebe zu: Das Vertrauen in die Welt ist in den letzten Jahren stark gesunken. Wir wissen nicht, was kommt. Niemand weiß das.

STANDARD: Ist "Mastaba" schon ausfinanziert?

Christo: Die Finanzierung steht bereits, wir haben Credit Suisse als Partner gewonnen. Wir arbeiten gerne mit Banken zusammen.

STANDARD: Im Gegensatz zu Ihren meist temporären Projekten soll "Mastaba" nicht wieder abgebaut werden, sondern bestehen bleiben.

Christo: Ja, "Mastaba" soll bleiben. Aber dazu muss es erst einmal da sein.

STANDARD: 410.000 Fässer zu einem 150 Meter hohen Mahnmal gestapelt: Was bedeutet Größe für Sie?

Christo: Unsere Projekte sind nicht groß. Sie schauen nur so groß aus, weil sie ohne Nutzen sind. Das macht den Menschen Angst. Das lässt die Projekte groß erscheinen.

STANDARD: Sie scheinen Herausforderungen zu lieben.

Christo: Ich bin kein Masochist. Wir machen einfach unsere Arbeit.

STANDARD: Sie sprechen die ganze Zeit von "wir". Ist Ihre Partnerin Jeanne-Claude nach wie vor präsent in Ihrer Arbeit?

Christo: Natürlich! Als Jeanne-Claude 2009 gestorben ist, waren wir grad in diverse Projekte involviert. Alles, woran ich heute arbeite, ist die Folge unseres gemeinsam aufgebauten Büros.

STANDARD: Inwiefern hat sich Ihre Arbeit seit dem Tod verändert?

Christo: Jeanne-Claude ist diejenige, die die Struktur hat. Ich hingegen habe keine Struktur. Daher arbeite ich heute mit ihren beiden Neffen zusammen. Die helfen mir ein bisschen. Ich vermisse Jeanne-Claude jeden Tag, vor allem wegen der vielen Diskussionen und Reibereien. Sie ist meine größte Kritikerin. Ansonsten hat sich seit 2009 nichts geändert.

STANDARD: Sie sind 79 Jahre alt, machen einen fitten Eindruck und haben ein Sprechtempo, dass man Ihnen kaum folgen kann. Woher nehmen Sie Ihre Energie?

Christo: Ich esse jeden Morgen eine rohe Knoblauchzehe. Außerdem wohne ich in Manhattan in einem Haus mit 90 Stufen, die ich jeden Tag zehn- bis 15-mal auf und ab gehe. Das hält fit. (Wojciech Czaja, DER STANDARD, 30./31.8.2014)