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Arnulf Rainer (84) ...

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

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... im Schauraum seines Ateliers.

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Ein Gefühl wie auf einer Insel: rundum nichts als Wasser. Die Wasseroberfläche wird beim Blick aus den Fenstern des großen Wohnraums zum weiten Horizont. Erst unten, direkt am Inn, wird das andere Ufer sichtbar.

Arnulf Rainer, im Garten sitzend, inmitten des steten Fließens arbeitend, darf man sich das so vorstellen? Ja, könne man, sagt der Künstler, der im Dezember seinen 85. Geburtstag feiert: "Zeichnend und sich über die Bundesbahn ärgernd". Mit der Bahn liegt Rainer im Clinch, hat sie doch vor geraumer Zeit die genau gegenüber verlaufenden Schienen mit gelben und roten Planken verkleidet. "Schreckliche Signalfarben!", seufzt Rainer, aber seine Interventionen liefen leider ins Leere.

Sein Atelier in einem ehemaligen, bereits im frühen 19. Jahrhundert säkularisierten Kloster unweit von Passau hatte Rainer bereits in den 1950er-Jahren gesucht und gefunden. Viele der weiten, lichten Räume, denen nicht nur ein zarter Hauch von Räucherstäbchen etwas Erhabenes verleiht, stehen unter Denkmalschutz. Auf Kommoden stapeln sich Bücher über Bhutan und buddhistische Kunst, zwei weiße Bildtafeln lehnen an einer Wand. "Ich darf hier keinen Nagel einschlagen", bedauert Rainer: "Ein Maler will immer Bilder zeigen!"

Welche Bedeutung hat der Inn für ihn? "Ein Grenzfluss. Hier ist die Nato, dort das Bundesheer." Damals habe man die Russen noch als Bedrohung empfunden, und so zog er sich während des Kalten Kriegs aus Österreich zurück; Rainer schaute lieber von Deutschland aus herüber.

"Ich wollte ein europäischer Künstler sein, kein österreichischer." Also rechnete er sich aus, welcher Ort in Deutschland (wo er obendrein weit mehr Sammler hat als in der Heimat) Wien am nächsten liegt. Und billig war es, ergänzt er. Echte Provinz sei das gewesen, bevor Passau eine Universität hatte und Preise dreimal günstiger als in Salzburg.

Preise sollten ihm heute kein Kopfzerbrechen mehr bereiten. Rainer zählt seit langem zu den erfolgreichsten - und teuersten - Malern. Die heimischen Museen haben sich trotzdem nicht gerade überschlagen, ihm große Retrospektiven auszurichten. Das Mumok, einst Museum des 20. Jahrhunderts, hat das seit 1968 nicht getan; das Belvedere gar nicht.

Alle Schaffensphasen

Die letzte große Werkschau fand im Jahr 2000 in Kooperation mit dem Stedelijk Museum Amsterdam im privaten Kunstforum in Wien statt, noch konzipiert von Klaus Albrecht Schröder, heute Direktor der Albertina. Dort zeigt man ab nächster Woche in sieben Sälen rund 120 Werke aus allen Schaffensphasen Rainers: darunter Vertikalisierungen, Zentralisationen, Übermalungen, Kruzifikationen und Selbstdarstellungen. In die Bildauswahl mische er sich nicht ein, sagt Rainer, hoffe jedoch, dass sich die Sammler nicht so sehr vordrängen. Einmal, erzählt er später, habe er allerdings Karlheinz Essl widersprochen, als dieser die Kruzifikationen in Kreuzform hängen wollte.

Ein Querschnitt seiner Werke findet sich auch im Schauraum des Ateliers, einer ehemaligen Mälzerei. Da der Stuck abgeschlagen wurde, ist nun eine Mauernische, dort, wo sich einst eine Tür befand, der einzige Schmuck im Raum; sie erweist sich als harmonische Hülle für ein schmales Schleierbild. Zuletzt hat hier Besuch aus den Arabischen Emiraten Bilder für eine Schau in Sharjah ausgewählt, erzählt Rainers Frau, Hannelore Ditz.

Droht noch immer Gefahr, dass er seine Bilder in Ausstellungen übermalen will? Rainer lacht. "Ich trau mich nicht, die Bilder abzuhängen". Er rede in dem Fall mit dem Kurator, ob man es nicht durch ein anderes Bild austauschen könnte. Aber zumindest Werke aus den 1950er-Jahren könne er inzwischen als Dokument akzeptieren. "Ich erkenne immer nur die Schwächen", sagt Rainer, der die Frage nach seinen stärksten Bildern nicht beantworten könne - nicht mehr. Seine "wichtigsten, wertvollsten" Bilder seien jene gewesen, die 1989 im New Yorker Guggenheim ausgestellt worden waren und 1994 bei einem Anschlag in der Wiener Akademie zerstört wurden. Die Polizei habe den Fall nicht ernst genommen. Ob er Ressentiments gegenüber sogenannter moderner Kunst gespürt habe? "Unterschwellig ja."

"Für mich ist immer das das Wichtigste, woran ich gerade arbeite": Kleine, kontemplativere Sachen auf Papier. Er habe keine Lust mehr auf das Wilde. "Ich will, dass es schön ist", sagt er. Und: "Ich bin sozusagen Klassizist geworden." Ausstellen, so Rainer, wollte das bisher keiner. Warum nicht? "Das erwartet man von mir nicht." Und: "Ich bin ja ganz sanft geworden."

Sanft, aber unermüdlich: Rund 50 Stunden die Woche arbeitet er noch. Nicht nur in diesem Atelier am Inn, auch in einem umgebauten Bauernhof ganz in der Nähe, in Oberösterreich. Oder in Wien. Wenn es kalt wird und es in den alten Gemäuern ungemütlich wird, verlegt er das Malen nach Teneriffa. Wie handhabt man das Wirken an so vielen verschiedenen Orten? "Die Bilder warten auf mich. Sie rufen mich. Und ich komme dem nach." (Anne Katrin Feßler aus Passau, DER STANDARD, 30.8.2014)