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Ein trojanisches Pferd für die Demokratie? Anti-Ceta-Protest in Toronto.

Foto: Reuters

Wien - Werden amerikanische und kanadische Konzerne Europa bald mit milliardenschweren Klagen vor intransparenten Schiedsgerichten überschwemmen? Gut möglich, warnen Grüne, FPÖ sowie Nichtregierungsorganisationen wie Attac und Global 2000. Auslöser der Debatte sind die geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Ceta) sowie zwischen der EU und den USA (TTIP). Denn trotz aller Widerstände wollen die EU-Kommission und ihre Partner in Washington und Ottawa ein System mit Sonderklagerechten für ausländische Konzerne errichten.

So soll ein US-Investor künftig mit dem TTIP das Recht bekommen, sich gegen eine Enteignung in Europa vor einem internationalen Schiedsgericht zu wehren. Die Befürworter des Systems argumentieren, dass nationale Gerichte keine Abhilfe schaffen, weil sie voreingenommen gegenüber ausländischen Firmen sein könnten. Kritiker bemängeln, dass die Schiedsverfahren rechtsstaatlich mangelhaft sind: So fehlen etwa Transparenz - die Verfahren waren bisher oft nicht öffentlich - und Möglichkeiten der Berufung.

Inzwischen gibt es einen fertigen Vertragsentwurf, der erahnen lässt, wie das System künftig aussehen soll. Die EU-Kommission und Kanada haben Ceta fertigverhandelt. Derzeit wartet man in Brüssel auf die Kommentare zu dem Vertrag aus den 28 Unionsländern. Die EU ist den Kritikern entgegengekommen: Investorenklagen auf Basis des Ceta müssen öffentlich verhandelt werden. Die Schiedsgerichte müssen wichtige Dokumente publik machen.

Wer ist Investor?

Auch der Begriff Investor wurde genauer definiert. Nur wer in einem Land geschäftlich aktiv ist, erhält ein Klagerecht. Damit sollen Briefkastenfirmen ausgeschlossen werden. Immer wieder wurden in der Vergangenheit Staaten mithilfe von Scheinfirmen verklagt, die sich dabei auf internationale Investorenschutzverträge beriefen. Was Skeptiker weniger freuen wird: Auch Unternehmen, die nur Staatsanleihen gekauft haben, gelten als Investoren, was künftige Umschuldungen à la Griechenland spannend machen dürfte.

Näher definiert wurden auch die Klagegründe. Auch hier gab es in der Vergangenheit Kritik an schwammigen Begriffen. So wird etwa ein Investor unfair behandelt, wenn ihm ein nationales Gericht eine Anhörung verweigert. Zudem wird festgelegt, dass im Regelfall die unterlegene Partei die Kosten des Schiedsverfahrens tragen soll. Das war bisher bei Schiedsgerichten nicht immer der Fall. Sind die Kritiker damit besänftigt? Nein. So gibt es etwa weiter kein ordentliches Berufungsverfahren beim Ceta (geplant ist es aber wohl beim TTIP). Nichts ändert sich auch an der grundlegenden Skepsis: "Die Frage bleibt, warum ausländische Investoren das Privileg erhalten sollen, einen Staat vor einem Schiedsgericht zu klagen, ohne vorher die Stufen der lokalen Gerichtsbarkeit ausschöpfen zu müssen. Dies ist in anderen Teilen des Völkerrechts üblich, etwa in Menschenrechtsfragen", sagt Karin Küblböck vom Forschungsinstitut für Internationale Entwicklung (ÖFSE).

USA: Eingeschränktes Recht

Zu einem neuen Diskussionspunkt entwickelt sich indes die Frage, wer die Schiedsgerichte mehr braucht: die EU oder USA/Kanada. Die EU-Kommission hat die Offensive ergriffen. EU-Handelskommissar Karel De Gucht argumentierte vergangene Woche im Standard, dass europäische Konzerne Ansprüche auf Grundlage des TTIP-Abkommens gar nicht vor amerikanischen Gerichten einklagen könnten. Aber stimmt das? Ja und nein, sagen US-Juristen. Der Kongress hat 1979 tatsächlich ein Gesetz erlassen, wonach ausländische Unternehmen kein US-Gericht wegen Streitigkeiten auf Basis von Freihandelsabkommen anrufen dürfen, sagt John Coyle, Jurist von der University of North Carolina. Das Gesetz diente ursprünglich dazu, Klagen auf Basis des Freihandelsabkommens GATT in den USA zu unterbinden. 1994 wurde das Regelwerk nach der Gründung der WTO sicherheitshalber nochmal erneuert.

Wenn also zum Beispiel VW der Import von Autoteilen verboten wird, könnte das deutsche Unternehmen nicht Klage in den USA einlegen, auch wenn das Verbot künftig den TTIP-Bestimmungen widerspricht. So gesehen bräuchten Europas Firmen jedenfalls Schiedsgerichte. Schutz vor Enteignungen genießen ausländische Unternehmen in den USA aber sehr wohl, sagt Coyle, und zwar sogar direkt durch die Verfassung.

Die EU will das TTIP noch 2014 fertigverhandeln und im kommenden Jahr beschließen. Das Abkommen mit Kanada soll offiziell Ende September vorgestellt werden. (András Szigetvari, DER STANDARD, 1.9.2014)