Hohe Energie der freien Improvisation in Saalfelden, umgesetzt vom Quartett Kaze.

Foto: Peter Moser

Saalfelden - So ernst wie präzise ist diese Kunst - auch im aleatorischen Kosmos der freien Improvisation wird kein Geräusch dem Kreativzufall überlassen: Konzentriert verfolgt Trompeter Natsuki Tamura die Schlagzeugreflexe von Peter Orins, sucht den Idealmoment der Intervention. Wie er gefunden ist, sorgt Tamura mit seinem Zweitinstrument, einer Ratsche, zunächst kurz, dann mit energischen Kreisbewegungen für adäquaten Wirbel.

Dass selbst kleine Statements auf einem eher unüblichen Jazzinstrument sorgfältig inszeniert werden, belegt damit im Kleinen die segensreiche Allergie, welche das Quartett Kaze gegenüber jeglicher Beliebigkeit verspürt.

Von ersten, zarten Geräuschgesten an baut das Kollektiv ein Energiefeld auf, in dem nach und nach höchste Dichte im Sinne expressiver Hitze erzeugt wird. Soundmäßig wirkt das recht exzentrisch: Das Schlagzeug klingt bisweilen, als würden es panische Insekten bekrabbeln. Und auch der zweite Trompeter, Christian Pruvost, entlockt seinem Instrument mittels unorthodoxer Anblastechnik emotionale Unmittelbarkeit, die mit obligaten Trompetensounds ein eher sehr kühles Verwandtschaftsverhältnis pflegt.

Zwischendurch indes auch knackiges, konkretes Themenmaterial: Es entfaltet sich über pianistischen Orientierungspunkten, mit denen Satoko Fujii dem Ganzen strukturelle Eleganz verleiht und den Reichtum dieser Freiheitsmusik konturiert.

Dieses ohne Durchhänger agierende Grüppchen hätte auch an der Seite von Gitarrist Marc Ribot Segensreiches bewirkt. In Begleitung seiner akustischen Gitarre erschienen, betätigte sich der US-Künstler, dessen grandios-ungehobelten E-Gitarren-Sound man auch von Tom-Waits-Aufnahnen her kennt, als Exeget diverser Protestsongs. Und obwohl er mitunter zu widerborstigen Miniimprovisationen ansetzte, blieb er eher nur der trotzige Sänger im bluesigen Folkgewand.

Zumindest beim Protestsong gegen den eigenen Körper hätte die extreme Kunst des Kaze-Quartetts Ribots Aggressionen (der eigenen fleischlichen Hülle gegenüber) Nachdruck verliehen. Wobei auch Ribots Standpauke in Richtung Weihnachtsmann vom gestalterischen Ernst des Quartetts profitiert hätte.

Recht sterile Soli

Der Ernst allein garantiert natürlich gar nichts. Komponist und Dirigent Henry Threadgill verharrte beim ordnenden Überwachen seines Double-up-Ensembles in konzentriert-sorgenvoller Pose. Sein als Reverenz an den verstorbenen Kollegen Butch Morris gedachtes Projekt wirkte dann aber vor allem als sterile Kette von Soli eines Septetts, dessen Teilneh- mer den Improvisationsbefehlen Threadgills brav gehorchten.

Wenn schon Großbesetzung, dann lieber Mühlbachers Usw: Verbunden durch freie Soundzwischenspiele, groovte die Big Band im Sinne von Jazzrock, Funk und auch Reggae als opulente Klangmasse. Deren Energie und heitere Leichtigkeit rührte wohl auch von jenen Freiräumen her, welche Schlagzeuger und Leader Christian Mühlbacher der hochkarätigen Kollegenschaft offerierte.

Etwas von dieser Unbeschwertheit hätte Ben Goldberg und seinem Quintett nicht geschadet. Man changierte etwas berechenbar zwischen Bläserarrangements und Ausritten in ruppige Gitarrenbereiche, um wenig spannend wieder ins Geordnete zurückzukehren. Tja. Wirkte harmloser im Vergleich zu Philipp Nykrins Wire Resistance, das die Reize elektronischer Klänge mit Akustischem verschmolz. Stilistisch vielschichtig angelegt, zeigten Nykrins Stücke, dass hier ein Pianist kompositorisch für markantes Themenmaterial zu sorgen versteht. Und schien an mancher Werkstelle etwas Verknappung angebracht, so entschädigten die Soli von Saxofonist Fabian Rucker und Trompeter Mario Rom für fallweise auftretende Längen.

Am Ende des zweiten Festivaltages stand fest: Würde das Gehörte in eine Art Saalfeldener Hitparadenordnung gepresst, Wire Resistance würde einen vorderen Platz belegen. Gewonnen hätte jedoch die ernst-präzise Geräuschkunst des Kaze-Quartetts. (Ljubiša Tošić, DER STANDARD, 1.9.2014)