Russland hat offiziell einen neuen Feind: die Nato. In der Militärdoktrin soll die Militärallianz künftig als eine der Hauptbedrohungen Russlands namentlich genannt werden. Tatsächlich hat die Ausbreitung der Nato in Osteuropa Moskau schon seit Jahren Unbehagen bereitet. Die Angst vor einem Nato-Beitritt der Ukraine - der trotz des Sturzes von Wiktor Janukowitsch eigentlich nicht zur Debatte stand - hat Russland seinerseits allerdings zu immer irrationaleren Drohgebärden veranlasst.

War die Blitz-Eingliederung der Krim noch kühl kalkuliertes Risiko, so ist mit dem von Russland befeuerten Konflikt in der Ostukraine der Einsatz deutlich gestiegen. Die Drohung, der Ukraine den Osten mithilfe der inzwischen fast offenen Unterstützung für die Separatisten zu entreißen, wurde von Putins jüngster Äußerung, er könne Kiew innerhalb von zwei Wochen einnehmen, wenn er wolle, zumindest verbal noch getoppt. Kurz zuvor drohte er indirekt auch dem Nachbarland Kasachstan mit dem Verlust der Souveränität, wenn es nicht loyal zu Russland stehe.

Putins Taktik, den Westen und seine Nachbarn mit Drohungen zum Einlenken zu bewegen, ist kein Zeichen von Stärke. Es zeigt, dass der Kreml sich diplomatisch in die Enge manövriert hat. Ohne Gesichtsverlust herauszukommen wird schwer. Europa muss nun Taktgefühl beweisen, Putin zurechtweisen, ohne zu provozieren. Ein militärisches Kräftemessen wäre für beide Seiten tödlich. (André Ballin, DER STANDARD, 3.9.2014)