Wien/Paris - Nach Griechenland, Portugal und Spanien haben Bankanalysten, Ökonomen und Journalisten in den vergangenen Monaten ein neues Ziel entdeckt: Frankreich, den "neue kranken Mann in Europa", wie das die FAZ vor kurzem wenig charmant formulierte. Die Zahlen sind zwar nicht so dramatisch, wie solche Schlagzeilen suggerieren wollen. Aber in der Tat auch nicht berauschend: Seit Jahresbeginn wächst die französische Wirtschaft überhaupt nicht mehr. Die Arbeitslosigkeit steigt stetig an, das Land verliert Anteile am Weltmarkt und kann die mit der EU vereinbarten Budgetziele nicht einhalten.

Die am häufigsten gehörte Begründung für die Misere lautet in etwa so: Das Land hat, ähnlich wie der Süden Europas, über seine Verhältnisse gelebt. Die geringen Produktivitätszuwächse konnten mit den starken Lohnsteigerungen nicht mithalten. Eine Analyse der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) liefert allerdings nun eine etwas andere Interpretation der Malaise Française. Der KfW-Ökonom Christian Hornberg argumentiert, dass ein zentrales Problem für Frankreich Deutschland ist.

Zunächst zeigt Hornberg, dass die Innovationskraft der französischen Unternehmen seit 1999 kontinuierlich angestiegen und sogar deutlich über dem Schnitt des Euroraums gelegen ist. So war die Wachstumsrate der Faktorproduktivität, einer Variable, die den technischen und organisatorischen Fortschritt in einer Volkswirtschaft misst, in Deutschland nur geringfügig über den Werten für Frankreich.

Keine Lohnsprünge

Frankreichs Arbeitnehmer haben auch keine exorbitanten Lohnsprünge gemacht: Zwischen 1999 und 2008 lag das Produktivitätswachstum einschließlich Inflation bei 2,9 Prozent. Der Bruttolohnzuwachs war in dieser Zeit ebenso hoch. Zum Vergleich: In Italien und Spanien war der Lohnzuwachs deutlich höher als die Produktivitätszunahme.

Warum also verliert Frankreich Marktanteile im Welthandel? Hauptgrund laut KfW ist, dass Deutschland eben im selben Zeitraum mit seiner "ausgeprägten Lohnzurückhaltung" den französischen Firmen das Wasser abgegraben hat. Deutsche Unternehmen sind im Vergleich zur französischen Konkurrenz deutlich billiger geworden. Die Industriestruktur ist in beiden Ländern außerdem ähnlich, was den Wettbewerbsdruck erst recht erhöht. Hinzu kommt ein weiteres Problem: Die Kosten für industrienahe Dienstleistungen in Frankreich (Wirtschaftsanwälte, Versicherungsmakler) sind stärker gestiegen als im EU-Schnitt, was die Gewinnmargen drückt.

Als Reaktion auf die Krise im Außenhandel hat sich Frankreich seit 2012 Lohnzurückhaltung auferlegt - ähnlich dem deutschen Vorbild bei Hartz IV. Doch Deutschlands Exportquote (40 Prozent der Wirtschaftsleistung) ist weit höher als jene Frankreichs (28 Prozent). Sprich: Die Lohnzurückhaltung in Frankreich schwächt den Konsum ebenso wie einst in Deutschland, trifft aber die Wirtschaft des Landes weit härter, weil man nicht so viel exportiert wie der größere Nachbar. So richtig vertieft wird die Krise der französischen Unternehmer, weil sie traditionell viel stärker von den derzeit schwächelnden Absatzmärkten in Italien und Spanien abhängen. (András Szigetvari, DER STANDARD, 3.9.2014)