Dendrogramma stellt die Forscher vor ein Rätsel: Die Pilzköpfe aus der Tiefsee lassen sich nicht so recht einordnen.

Foto: Just et al.

Kopenhagen/Wien - Die lichtlosen Regionen der Tiefsee gelten immer noch als weitgehend unerforschtes Terrain. Wie wenig man über das Leben dort unten weiß, zeigt eine möglicherweise folgenreiche Entdeckung, die dänische Wissenschafter um Jean Just von der Universität Kopenhagen im Fachjournal "Plos One" präsentierten: Die Forscher beschreiben darin zwei wenige Millimeter große Organismen, die sich keinem heute bekannten Tierstamm zuordnen lassen.

Die mysteriösen Kreaturen gingen australischen Biologen bereits 1986 ins Netz, als diese am Kontinentalrand nahe der Insel Tasmanien Proben aus 400 bis 1000 Meter Wassertiefe holten und anschließend in Alkohol konservierten. Die aktuellen Untersuchungen durch die Dänen weisen auf einen ungewöhnlichen Aufbau hin: Die mehrzelligen Lebewesen ähneln winzigen unsymmetrischen Pilzen und verfügen über eine Mundöffnung am unteren Ende ihres Stiels. Das Verdauungssystem zieht sich bis in den Hut und ist offenbar auch für die Verteilung der aufgenommenen Nährstoffe verantwortlich. Zwischen der äußeren Hautschicht und dem Magentrakt liegt eine dichte gallertartige Substanz.

Die beiden neuen Arten erhielten die wissenschaftlichen Namen Dendrogramma enigmatica und Dendrogramma discoides, wo genau die Tiefseelebewesen im Stammbaum einzuordnen sind, bleibt aber vorerst rätselhaft. Die Forscher fanden bei ihrer Analyse zwar Ähnlichkeiten mit Rippenquallen und Nesseltieren, zu denen etwa auch die Seeanemonen zählen, ob sie mit einem der beiden Tierstämme tatsächlich verwandt sind, lässt sich vorerst aber noch nicht sagen.

Relikte des Präkambriums

Just und sein Team bringen allerdings noch eine spannende weitere Möglichkeit zur stammesgeschichtlichen Einordnung der Dendrogramma ins Spiel: Die Forscher fanden Parallelen zu Lebewesen der Ediacarafauna, jenen ausgestorbenen Mehrzellern unklarer Systematik also, die vor fast 600 Millionen Jahren die präkambrischen Meere beherrschten. "Die bisherigen Belege deuten darauf hin, dass die beiden Arten Vertreter eines frühen Zweiges am Lebensbaum sein könnten", vermutet Just.

Um ihre These zu bestätigen, sind die Wissenschafter aller-dings auf frische Exemplare von Dendrogramma angewiesen - und diese wollen die dänischen Forscher bei einer künftigen Expedition aus der Tiefsee holen. (tberg, DER STANDARD, 4.9.2014)