Die Innenministerin und der Polit-Kabarettist über kottaneske Polizeieinsätze, das Dauerthema "Inländer, Ausländer" und den "Burgfrieden" in der ÖVP.

Foto: standard/corn

"Mir war es immer wichtig, die Emotion aus dem Asylthema herauszuhalten": Johanna Mikl-Leitner.

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"SPÖ und ÖVP haben versucht, sich FPÖ-mäßiger als die FPÖ aufzuführen, und dabei die Hälfte ihrer Wähler verloren": Thomas Maurer.

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derStandard.at: Frage an Sie beide: Wie würden Sie einem sechsjährigen Kind erklären, wofür die ÖVP steht?

Mikl-Leitner: Für Eigenverantwortung.

derStandard.at: Was ist das?

Mikl-Leitner: Hilfe zur Selbsthilfe - wenn's jemandem schlecht geht, dabei helfen, das Leben wieder selbst in die Hand nehmen zu können.

Maurer: Ich würde dem Kind sagen: Da muss ich jetzt so weit ausholen, ich weiß nicht, ob dir nicht langweilig wird, bis ich fertig bin ... Im Ernst: Diese Bünde- und Länderstrukturen werfen für mich ein anderes Menschenbild auf. Staatssekretärin Remler wurde ja damals Staatssekretärin, weil endlich eine Frau aus dem Westen bundespolitisch was werden musste. Letztlich steht dahinter, dass jeder nur für seine kleine Klientel kämpft: Würde man einem oberösterreichischen ÖAABler nicht misstrauen, dass er vielleicht Interessen der Vorarlberger Bauern nicht vertritt, dann bräuchte man das ja gar nicht. Es herrscht ein großes innerparteiliches Misstrauen.

Mikl-Leitner: Aber gerade beim Wechsel des Finanzministers hat die ÖVP ja gezeigt, dass die Frage der Teilorganisationen überhaupt keine Rolle gespielt hat. Es ist nur um die Kompetenz von Persönlichkeiten gegangen.

Maurer: Wenn das Stadion brennt, räumen auch Rapidler und Austrianer schnell einmal ihre Differenzen aus und versuchen gemeinsam das Gelände zu verlassen.

derStandard.at: Ganz so zufrieden waren Sie ja nicht mit der Wahl – Sie hätten sich einen unabhängigen Experten als Finanzminister gewünscht.

Mikl-Leitner: Der Parteiobmann hat sich Herrn Schelling gewünscht, der Experte und Politiker zugleich ist, und dem habe ich schließlich auch zugestimmt. Parteiobmann und Finanzminister haben meine volle Unterstützung.

derStandard.at: Warum wollten Sie eigentlich nicht Parteiobfrau werden?

Mikl-Leitner: Das war in der ersten Minute für mich klar. Ich habe ein großes Ressort mit viel Verantwortung und bin zusätzlich Obfrau des ÖAAB, mein Tag ist rund um die Uhr ausgefüllt, es braucht auch Zeit für die Familie.

Maurer: Waren Sie eigentlich froh, dass Sie nie wirklich in Gefahr geschwebt sind, Obfrau zu werden?

Mikl-Leitner: Ich war nie in Gefahr, weil ich es von Anfang an klargestellt habe.

derStandard.at: Ist das ein undankbarer Job?

Mikl-Leitner: Ein herausfordernder. Aber auf alle Fälle mission possible.

Maurer: In Stellenanzeigen ist "herausfordernd" ja ein Synonym für "ui!".

Mikl-Leitner: Aber das ist auch als Kabarettist so, oder? "Ui, hoffentlich kommt das Programm gut an!"

Maurer: Eh, aber ich habe halt keine fünfjährige Funktionsperiode. Mich erinnert Berichterstattung über die ÖVP ja immer an die Kreml-Berichte der 1980er-Jahre: Von außen mutmaßen Menschen, was sich innen tut. Man hört, der Landeshauptmann von Niederösterreich ist über manches nicht so glücklich, normalerweise hört man das von ihm, ungewöhnlicherweise hört man ihn selber diesmal nicht – glauben Sie, ist jetzt langfristig der Burgfriede ausgebrochen?

Mikl-Leitner: Bei uns herrscht Aufbruchsstimmung und volle Unterstützung für den Parteiobmann.

derStandard.at: Zurück zum Sechsjährigen. Angenommen, dessen Vater ist von Abschiebung bedroht, weil die Familie zu wenig für den Aufenthaltstitel verdient: Was sagen Sie diesem Kind, wofür die ÖVP steht?

Mikl-Leitner: Wenn ein Kind hier aufwächst und die Familie seit Jahren hier lebt, wird sie auch bei uns bleiben können. Dann soll man hier arbeiten können, sich hier wohlfühlen.

Maurer: Da muss ich schon relativieren. Ich habe zum Beispiel viele Leute kennengelernt, die bis zu zehn Jahre auf die Erledigung ihres Asylverfahrens warten, deren Kinder Deutsch mit Meidlinger Akzent sprechen und über deren Köpfen immer noch die Abschiebung schwebt. Da ist doch irgendwas nicht ganz in Ordnung.

Mikl-Leitner: Das sollte der Vergangenheit angehören. Wir haben ein neues Amt, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, wo die Verfahren rasch erledigt werden.

Maurer: Aber es gibt diese Grauzone. Ich weiß, im Asylwesen kommt das Wort "Einzelfall" immer vor – aber manchmal hat man das Gefühl, von einer Einzelfall-Lawine überrollt zu werden.

Mikl-Leitner: Jeder Einzelfall wird einer Detailprüfung unterzogen. Selbstverständlich haben Beamte im Sinne der Gesetze zu entscheiden.

derStandard.at: Die Gesetze wurden aber von der ÖVP mitbeschlossen, Entwürfe unter ÖVP-Innenministern ausgearbeitet.

Mikl-Leitner: Wir haben mit dem Bundesamt ein ganz großes Paket auf die Reise gebracht, da ist sehr viel passiert, auch in Richtung Rechtsschutz.

Maurer: Ich höre, dass es bei der Fremdenpolizei teils übermotivierte Kräfte gibt, die auch gerne Fehlinformationen austeilen. Und bei Menschen, die es gewohnt sind, sich vor Uniformen und staatlichen Autoritäten mit gutem Grund zu fürchten, kommen sie damit durch. Offenbar wird es von manchem als kleiner Sieg verbucht, wenn er jemanden außer Landes schafft.

Mikl-Leitner: Keinem einzigen Beamten fällt es leicht, jemanden außer Landes zu bringen.

Maurer: Na, da kenne ich schon welche ...

Mikl-Leitner: ... dann bitte ich Sie aber auch, mir die konkreten Fälle zu nennen, dann gehe ich dem selbstverständlich nach.

Maurer: Das Problem ist, dass man Menschen, die in einem schwebenden Asylverfahren sind, selten dazu bringt, sich auch mit Namen an den Staat, von dem sie sich drangsaliert fühlen, zu wenden. Eben weil sie das Gefühl haben, das schmälert ihre Chancen noch einmal. Darum sind solche Vorwürfe wahnsinnig schwierig zu belegen – weil sich die Leute einfach fürchten.

Mikl-Leitner: Wir nehmen sehr viel Geld in die Hand für Rechtshilfe. Wir arbeiten mit NGOs zusammen wie Caritas und Diakonie, die sich darum kümmern.

Maurer: Es ist üblich in Traiskirchen, dass Leute, die dort einen Asylantrag stellen wollen, vorher von der Polizei aufgegriffen und in Schubhaft genommen werden. Die müssen ihren Asylantrag aus der Schubhaft stellen - das ist gängige Praxis.

Mikl-Leitner: Nein, das ist nicht gängige Praxis. Da bitte ich das sofort hier auf den Tisch zu legen. Das gibt es nicht. Aber bringen Sie mir den Fall, dann lasse ich das sofort überprüfen.

derStandard.at: Die ÖVP definiert sich als christlichsozial und wirtschaftsliberal. Das Fremdenrecht wird aber immer wieder von den Kirchen als unsozial und von der Wirtschaft als protektionistisch kritisiert. Beeindruckt Sie das nicht? Stichwort Arbeitserlaubnis für Asylsuchende.

Mikl-Leitner: Beim Arbeitsmarkt-Zugang sind wir relativ weit oben im Vergleich mit anderen europäischen Staaten. Es gibt die Möglichkeit, nach drei Monaten eingeschränkt arbeiten zu gehen.

Maurer: Arbeiten darf man aber nur als Saisonnier und in der Prostitution.

Mikl-Leitner: Im saisonalen Bereich gibt es genug Möglichkeiten. Leider wird das nicht ausgeschöpft.

derStandard.at: Aber einem Unternehmer, der eine offene Stelle und in seiner Gemeinde einen gut qualifizierten Bewerber hat, der zufällig im Asylverfahren steckt, sagen Sie: Leider nein?

Mikl-Leitner: Nein, da gibt es Möglichkeiten – die Rot-Weiß-Rot-Karte, saisonale Beschäftigung.

derStandard.at: Zur Grundversorgung für Asylwerber: Wundert es Sie wirklich, dass es zu wenige Privatunterkünfte gibt? Die Entschädigungen für Unterkunftgeber wurden jahrelang kaum erhöht.

Mikl-Leitner: Es ist oft nicht eine Frage des Geldes, sondern oft geht es darum, dass viele nach dem Florianiprinzip agieren: Helfen ja, aber nur nicht bei mir, sondern in einer anderen Gemeinde oder in einer anderen Pension.

derStandard.at: Wenn man Ihnen zuhört, klingt es so, als seien so viele Asylwerber in Österreich wie noch nie. Im mehrjährigen Durchschnitt sind es aber nicht dramatisch viele – die Antragszahlen waren etwa 2002 viel höher. Da klingt die aktuelle Betreuungsquoten-Debatte doch etwas hochgezüchtet.

Mikl-Leitner: Man kann nicht von den Ländern erwarten, dass sie von 2002 bis 2014 so viel an Bettenkapazität vorrätig halten, die wir über Jahre nicht brauchen. Denn auch die gehen natürlich mit Steuergeld sensibel um.

Maurer: Das Asylthema hat unfassbare symbolische Bedeutung. Man hat fast den Eindruck, es hat die letzten 20 Jahre gar kein anderes Thema gegeben als "Inländer, Ausländer". SPÖ und ÖVP haben versucht, sich FPÖ-mäßiger als die FPÖ aufzuführen, und dabei die Hälfte ihrer Wähler verloren. Auch Sie haben, da war zufällig Wahlkampf, die Leute der Votivkirchen-Besetzung als brutale Schlepper bezeichnet, die schwangere Frauen aussetzen. In den Akten der Polizei war das nirgends vermerkt. Wo haben S' denn das hergehabt?

Mikl-Leitner: Wenn Sie es genau verfolgt haben, habe ich einige Male ganz klar gesagt, dass hier vor allem die Art und Weise, wie Schlepperbanden agieren, gemeint war. Mir war es immer wichtig, die Emotion aus dem Asylthema herauszuhalten.

derStandard.at: Ihnen musste doch klar sein, dass die "schreienden schwangeren Frauen" für Medien ein gefundenes Fressen sind, dass das natürlich mit den Votivkirchen-Flüchtlingen assoziiert wird. Gewisse prominente Beschuldigte hätten Sie sofort wegen übler Nachrede geklagt.

Mikl-Leitner: Lesen Sie nach, dass das ganz klar so formuliert war: dass es um Schlepper im Allgemeinen geht. Das war vier Tage später auf Ö1.

derStandard.at: Im Onlinejournalismus sind vier Tage ein halbes Jahr.

Mikl-Leitner: Und jetzt sind wir eineinviertel Jahre danach, das ist ja dann eine Ewigkeit!

derStandard.at: Mit dem Abstand dieser Ewigkeit: Tut es Ihnen da vielleicht ein bisschen leid, dass Sie das so gesagt haben?

Mikl-Leitner: Ich habe das nach vier Tagen klargestellt.

derStandard.at: Themenwechsel: Wenn bei der Räumung eines besetzten Hauses in Wien 1.500 Beamte im Einsatz sind, bei einer weiteren kleinen Demo allein mehr als hundert Zivilbeamte – wie lassen sich da Einsparungen bei der Polizei rechtfertigen?

Mikl-Leitner: Die Polizei agiert nicht aus Jux und Tollerei, sondern muss bei jedem Einsatz eine Gefährdungseinschätzung machen. Wenn es Aufrufe über das Internet bis hin nach München und Berlin gibt, man möge nach Wien kommen und Demos veranstalten, dann ist das ein Alarmsignal. Und ich bin es leid, dass reflexartig immer die Polizei schuld ist. Was wäre gewesen, wenn jemand zu Schaden gekommen wäre? Dann wäre der Vorwurf gewesen: Es waren zu wenige.

Maurer: Es ist nicht "die Polizei", an die sich die Kritik richtet – die einzelnen Beamten können ja nichts dafür, die werden ja eingeteilt –, sondern die Einsatzleitung. Wenn man dort zwei Tage vor der Räumung jemanden hingesetzt hätte zum Haus, hätte man gesehen, dass dort sicher keine 500 gewaltbereiten Berliner Terrorprofis drinsitzen, sondern 19 Hansln. Dann hätte man vielleicht 200, 300 Beamte weniger einsetzen können. Dieser ärgerlich kottaneske Eindruck wäre nicht entstanden. Kann man nicht auch einmal sagen: "Das war ein Pfusch, 'tschuldigung"?

Mikl-Leitner: Direkt vor Ort waren 500, der Rest war im gesamten Stadtgebiet verteilt. Basis war die Gefährdungseinschätzung, da vertraue ich dem Polizeipräsidenten von Wien.

derStandard.at: 19 Hausbesetzer, 1.500 Beamte – von so einem Betreuungsschlüssel können Studierende nur träumen.

Mikl-Leitner: Aber Sie haben auch gesehen, wie man mit der Polizei umgegangen ist – sie wurde mit Fäkalien beworfen, alles verbarrikadiert, Hürden aufgebaut, die lebensbedrohend hätten sein können.

derStandard.at: Lebensbedrohend?

Mikl-Leitner: Da waren Öfen, die hätten runterfallen können. Da waren schon Hürden aufgebaut, die äußerst gefährlich waren. Ich vertraue hier dem Polizeipräsidenten, der sehr verantwortungsvoll gearbeitet hat.

Maurer: Also die nächste Demo macht wieder er? Wird das nicht kritisch reflektiert? Sagt da irgendwer: "Schau einmal in die Zeitung und frag dich, ob da nicht ein bissl du auch dran schuld bist"?

Mikl-Leitner: Selbstverständlich wird reflektiert, gibt es eine Evaluierung.

Maurer: Und die Evaluierung hat konkret ergeben: "War eh alles super, nächstes Mal mach' ma's wieder so"?

Mikl-Leitner: Sie können der Polizei vertrauen. Es ist Gott sei Dank nichts passiert.

derStandard.at: Dürfen die Bürger auch wissen, wie die Evaluierung ausfällt?

Mikl-Leitner: Ich glaube, dass das nicht sehr klug wäre aus polizeitaktischen Gründen.

Maurer: Ich habe mit einem Polizisten gesprochen, der bei der Akademikerball-Demo im Einsatz war. Er hat wenig zitable Adjektive für die Einsatzleitung verwendet – "unfassbares Chaos", "wahnsinnig unprofessionell". Ich weiß schon, dass jede Organisation die interne Kritik nicht an die große Glocke hängt, aber Institutionen einer demokratischen Regierung sollte man das vielleicht zutrauen. Es gibt einen Bunkerreflex: Kritik an der Polizei wird immer so dargestellt, als sei man ein pathologischer Uniformhasser. Das ist auch nicht gut für die Polizei: Es nimmt jedem Beamten den Nipf, Fehlentwicklungen aufzuzeigen.

Mikl-Leitner: Kritik ist mir wichtig. Wenn Sie in Zukunft einen Kritikpunkt haben, rufen Sie mich an – ich gehe dem nach.

derStandard.at: Dann konkret: Wie gescheit ist es, oberösterreichische Landpolizisten mit mäßigen Ortskenntnissen in Wien am Hotspot einer Demo einzusetzen?

Mikl-Leitner: Wo Kräfte eingesetzt werden, obliegt der Einsatzleitung. Wie gescheit es ist, ergibt die Evaluierung.

derStandard.at: Und was sagt die Evaluierung des Akademikerball-Einsatzes?

Mikl-Leitner: Dass da und dort das eine oder andere nachzujustieren ist. Das ist die Grundlage, für den nächsten Ball Vorsorge zu treffen.

derStandard.at: Herr Maurer, wo würden Sie bei der Polizei sparen?

Maurer: Die Polizei braucht eher mehr Geld. Ich rede gar nicht davon, dass Beamte sich ihre Wachstube selber ausmalen müssen, weil der Putz runterkommt. Es fehlen immer noch etliche hundert Polizisten in Wien. Das Einstiegsgehalt lockt auch nicht unbedingt die Qualifiziertesten an. Und die Wirtschaftspolizei leidet an einem totalen Personalengpass. Das gilt es abzustellen. Wirtschaftsfreundlichkeit kann ja nicht bedeuten, dass man Wirtschaftskriminelle nicht mehr angemessen verfolgt.

Mikl-Leitner: In Wien gibt es eine Vereinbarung: 1.000 Polizisten mehr bis Ende 2015. Und bei der Wirtschaftspolizei werden wir schauen, dass eine Verstärkung stattfindet.

derStandard.at: Auf dem Gruppenfoto vom ÖVP-Parteivorstand in Linz ist von den beiden Frauen im Team – Ihnen und Frau Karmasin – gelinde gesagt wenig zu sehen.

Mikl-Leitner: Da hat uns die Größe der Kollegen überrollt, aber das ändert nichts am Gewicht der Frauen in der Regierung.

derStandard.at: War das patschert, böse oder beides?

Mikl-Leitner: Da bin ich sehr großzügig. Da sind der neue Parteiobmann, der neue Finanzminister und der Staatssekretär im Mittelpunkt gestanden – da stehe ich gerne einmal in der zweiten Reihe. (Maria Sterkl, derStandard.at, 6.9.2014)