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An der Isonzofront erlitt Andreas Latzko einen psychischen Zusammenbruch. Während seiner Rekonvaleszenz in der Schweiz schrieb er gegen den "Weltirrsinn" an.

Foto: Apa/dpa/Archiv

Wien - Einst werde das offizielle Österreich stolz darauf sein, "dass es auch durch diese Tat am Weltkrieg beteiligt war", schrieb Karl Kraus 1917 in der Fackel. Mit "dieser Tat" meinte der Fackel-Herausgeber Andreas Latzkos Novellensammlung Menschen im Krieg, die 1917 in Zürich erschienen war. Kraus sollte sich - nicht nur was das offizielle Österreich betrifft - irren. 1933 wurden Latzkos Bücher öffentlich verbrannt.

Zwei Jahre zuvor, 1931, hatte die Fackel an Latzko erinnert, der zu einer Zeit gegen jenen ersten "Weltirrsinn" angeschrieben hatte, als dies noch lebensgefährlich war - und es bald wieder sein würde. Doch nach seinem Tod 1943 im Amsterdamer Exil fiel der international bekannte Schriftsteller Andreas Latzko, der von Zeitgenossen in einem Atemzug mit großen pazifistischen Autoren der Zwischenkriegszeit wie Stefan Zweig oder Romain Rolland genannt wurde, erstaunlich schnell dem Vergessen anheim.

Das mag damit zu tun zu haben, dass sich kein Land um den 1876 in Budapest geborenen Sohn eines ungarischen Bankiers und einer Wienerin kümmern mochte.

Aufgewachsen in einem assimilierten jüdischen Haushalt, schrieb er zunächst auf Ungarisch, ehe er 1901 nach Berlin zog, wo er studierte und in seiner "Mutter-Sprache" versuchte, als freier Autor und Reisejournalist Fuß zu fassen. Zum "richtigen" Schreiben fand Latzko in der Schweiz. Dorthin war er zur Rekonvaleszenz geschickt worden, nachdem er als Reserveoffizier dere k. u. k. Armee an der Isonzofront 1915 einen psychischen Zusammenbruch erlitten hatte und als sogenannter "Kriegszitterer" in diversen Kriegsspitälern der Monarchie behandelt worden war.

In der Schweiz veröffentlichte er in Zeitschriften und der Tagespresse jene Novellen anonym, die 1917 in dem Band Menschen im Krieg unter seinem Namen erschienen, was zu seiner Degradierung führte. Der nun vom Wiener Milena-Verlag wiederaufgelegte Band ist mehr als nur eine weitere "Wiederentdeckung" zum Gedenken an den Kriegsausbruch vor 100 Jahren. Er erinnert daran, dass das Kriegsleid an der Front von Autoren wie Henri Barbusse, der 1916 für Le Feu mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde, oder eben Andreas Latzko lange vor Remarques Im Westen nichts Neues und Hans Herbert Grimms Schlump, beide 1928 erschienen, literarisch thematisiert wurde.

Die erste Novelle, Der Abmarsch, nimmt ihren Anfang im Lazarett einer kleinen österreichischen Provinzstadt, die "ihr friedfertiges Dreinschauen noch immer nicht abgelegt hatte". Schon auf der vierten Seite taucht der scheinbar abwesende Krieg in Form eines "armseligen" Rests eines Menschenleibs auf, "der ganze Mann hätte in einer Kinderwiege Platz gefunden".

Die Versehrung von Köpern und Seelen in dieser "Krüppel- und Leichenfabrik" zieht sich als erzählerische Blutspur durch die sechs Novellen. In Heimkehr, der letzten Novelle des Bandes, der mit einem lesenswerten Nachwort des Salzburger Germanisten Hans Weichselbaum versehen ist, verliert ein Kriegsheimkehrer gegenüber seinem "gnädigen Herrn", der statt Ziegeln Munitionshülsen produziert, im wahrsten Sinn des Wortes sein Gesicht. Und Latzko schreibt über die Medienpropaganda, das "feige Gewäsch jener zeitgenössischen Kriegsbarden, die wie Weinreisende für die Marke Weltkrieg emsig Reklame machen".

In einem im Nachwort zitierten Brief an Alfred Haering schreibt Latzko: "Es kommt alles darauf an, dass die Menschen ihr Herz wieder finden. (... ) Mitleiden ist MIT-leiden, nur was den Menschen, durch Erwecken seiner Phantasie, ZWINGT am eigenen Leib zu fühlen, fügt er seinen Mitmenschen nicht mehr zu." (Stefan Gmünder, DER STANDARD, 12.9.2014)