Wieso wird eine der erfolgreichsten Regierungen Europas, die ihr Land fast schadlos durch die Weltfinanzkrise geführt hat und für relativ gutes Wirtschaftswachstum und niedrige Verschuldung sorgen, abgewählt? Die Antwort liegt in der steigenden Ungleichheit, die auch Schweden in den vergangenen Jahren erfasst hat.

Zwar steht das soziale Musterland nach der aktuellen Bertelsmannstudie bei der sozialen Gerechtigkeit immer noch an erster Stelle in Europa. Aber auch dort sind - wie auch der Starökonom Thomas Piketty aufzeigt - die großen Vermögen viel stärker gewachsen als die Masseneinkommen, während die Arbeitslosigkeit mit acht Prozent und vor allem die Jugendarbeitslosigkeit mit 22 Prozent für die egalitäre Tradition des Landes viel zu hoch ist. Die schwedischen Wähler haben sich mit ihrer Abwahl des konservativen Premiers Fredrik Reinfeldt nicht für eine völlige Abkehr von seiner Politik entschieden, aber für eine Kurskorrektur - und das aus gutem Grund.

Dass die Anti-Ausländer-Partei Schwedendemokraten dabei auch massiv gestärkt wurde, ist ein Grund zur Sorge, aber angesichts der hohen Einwanderung und der damit verbundenen sozialen Probleme nicht überraschend. Trotzdem spricht es für die politische Vernunft im Norden Europas, dass Schwedens Rechtspopulisten mit 12,9 Prozent immer noch schwächer sind als in den meisten anderen EU-Staaten. Ob die geplante Isolierung der Partei durch den siegreichen Linksblock von Sozialdemokraten, Grünen und Linken durchgehalten werden kann, ist nicht gewiss: Denn für eine parlamentarische Mehrheit fehlen ihm zumindest 17 Sitze.

Die größere Herausforderung für den designierten Regierungschef Stefan Löfven ist eine andere: Wie kann er die wirtschaftlichen Erfolge der Vorgängerregierung fortsetzen und dennoch die soziale Gerechtigkeit wieder stärken? Die französischen Sozialisten unter François Hollande sind damit gescheitert: Sie haben mit Steuererhöhungen und Interventionismus das Land in eine Stagnation geführt, die auch den Ärmeren nichts nützt.

Aber Schweden war immer schon anders: Das Land ist berühmt für seine intelligenten Zugänge im Sozialwesen, bei der Förderung der Nachhaltigkeit, Gleichstellung von Frauen, den Bildungsreformen sowie in der Budgetpolitik. Es waren letztlich die Sozialdemokraten, die einst das Bankensystem saniert, die Staatsschulden dramatisch abgebaut und in der Pensionsreform ein Vorbild für Europa geschaffen hat.

Auch der Ex-Metall-Gewerkschafter Löfven ist ein Pragmatiker, vor dem sich die Wirtschaft nicht fürchten muss. Wenn es ihm gelingt, eine der Mitte-rechts-Parteien zur Mehrheitsfindung ins Boot zu holen, dann könnten Schweden wieder innovative Wege abseits eingefahrener Ideologien gehen, um das Sozialsystem zu stärken und mehr Chancengleichheit zu schaffen, ohne die Steuerbelastung weiter in die Höhe zu treiben.

Ein Erfolg wäre nicht nur dem Land zu wünschen, sondern allen Industriestaaten, die vor ähnlichen Problemen stehen - auch Österreich. Aber die Frage, was getan werden muss, damit in einer globalisierten Wirtschaft die Kluft zwischen Arm und Reich nicht ständig wächst, könnte auch Schwedens Sozialtechnokraten überfordern. Und populistische Antworten wie die der Schwedendemokraten bleiben eine gefährliche Verlockung. (Eric Frey, DER STANDARD, 16.9.2014)