Der New Yorker Konzeptkünstler und Freud-Experte Joseph Kosuth: "Ich bin kein Kunsthistoriker, kein Wissenschaftler, kein Kurator. Ich bin Künstler. Mir geht es um die Konstruktion von Bedeutung."

Foto: Wolfgang Wesener

STANDARD: Sie beschäftigen sich schon sehr lange mit Sigmund Freud. Was ist an ihm für Sie als Künstler so faszinierend?

Joseph Kosuth: Ich arbeite mit Bedeutung; und Freud gab der Sprache neue Bedeutung, eine neue Nutzbarkeit zur Erforschung unsres Innersten. Ich habe österreichisch-ungarische Wurzeln, Freud oder auch Ludwig Wittgenstein sind Teil meiner langen Heldenliste aus diesem Teil der Welt.

STANDARD: Sie haben einmal die Frage aufgeworfen, ob Freud Künstler, Nichtkünstler oder Antikünstler gewesen sei. Wie lautet Ihre Antwort?

Kosuth: Er war sicherlich kein Antikünstler, wobei sein Blick auf die Kunst geprägt war von der Zeit, in der er lebte. Manche seiner Ansichten waren ziemlich konservativ. Aber immer wieder durchbrach er mit seinem überragenden Geist die Konventionen seiner Erziehung und seiner Umgebung. Prinzipiell muss man ja sagen, dass selbst sehr kluge Leute in Bezug auf Kunst sehr dumm sind.

STANDARD: Inwiefern?

Kosuth: Sie verstehen nicht, dass es bei Kunst ums Denken geht. Wirklich neue Kunst schaut nicht wie Kunst aus. Bis herauf zur Moderne herrschte die Vorstellung vom männlichen Genie, vom verrückten Mann. Ich habe zu Hause ein Plakat: "Dada ist gegen den Kunstschwindel des Expressionismus." Großartig! Es ist ja auch kein Zufall, dass sich die Situation für Künstlerinnen erst mit der Konzeptkunst änderte. Wir Konzeptkünstler brauchen nicht mehr den Mythos Mann als Kunsterklärungsmodell. Aura, all dieses Zeug diente doch nur dazu, Druck auf dem Markt zu erzeugen. Nehmen Sie Duchamp: Er war sicherlich der wichtigste Künstler in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dennoch erreichte er nie Picassos Preise.

STANDARD: Der Markt besiegt die Kunst?

Kosuth: Natürlich gibt es die Wächter der Kunst, die das Ethos aufrechterhalten. Aber unsere Welt wird von zwei mächtigen Gruppen beherrscht, beide verfolgen ausschließlich kurzfristige Ziele: die Manager, die am Ende des Tages Profit sehen wollen; und die Politiker, deren Entscheidungen ausschließlich dem eigenen Machterhalt dienen. Und dann gibt es Menschen, die langfristige Ziele vor Augen haben: Künstler, Philosophen, Schriftsteller - die Intelligenzija.

STANDARD: Und die Wissenschaft, die Kunstgeschichte?

Kosuth: Gehört eigentlich auch zur Intelligenzija, nur leider sind auch die Wissenschafter zunehmend im Würgegriff der Wirtschaft. Mittlerweile gibt es ja zwei Arten von Kunstgeschichte. Diejenige, die von Kunst so spricht, wie wir es kennen: Wer beeinflusste wen, warum, in welcher Tradition steht der Künstler etc. Nun taucht eine konkurrierende Kunstgeschichte auf: die des Kunstmarkts. Sie definiert sich über die Preise, die ein paar dutzend Künstler erzielen. Sammler kümmern sich um die Kunstgeschichte ausschließlich über den Umweg ihrer Bankkosten. Die Signatur wird wichtiger als die Idee und der Inhalt. Der Künstler muss Teil eines Netzwerks sein, deren Mitglieder sehr viel für Kunst zu zahlen bereit sind. Wert, Qualität, Engagement werden ausschließlich in ökonomischen Begriffen erfasst. Das ist eine enorme Bedrohung für alle, die wirklich schöpferische Kunst machen.

STANDARD: Aber Sie sind doch auch Teil dieses Marktes?

Kosuth: Ja, das überlappt sich, niemand ist ganz clean in diesem Bereich.Es ist ein systemisches Problem: Wer erfolgreich ist, hat die finanziellen Möglichkeiten, Kunst zu fördern; daran ist ja erst einmal nichts Falsches. Aber in dieser Blase befinden sich eben auch Künstler, die ihre Werke um obszöne Preise verkaufen, aber ihre Kunst ist kein wichtiger Beitrag zur Kunstgeschichte, oder, genauer gesagt: höchstens zu einer sich über den Markt definierenden Kunstgeschichte.

STANDARD: Ihre Installationen bestehen aus Wallpapers, aus gerahmten Arbeiten, Fotografien, manchmal sind es Billboards, die in mehreren Teilen der Welt gleichzeitig aufgestellt werden. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Form der Präsentation?

Kosuth: Nach der Angemessenheit. Ich denke nicht in Kategorien, das würde meine Arbeit schwächen. Herzattacke: Das ist eine Kategorie. Aber keine Kunst.

STANDARD: Wie wichtig ist Ihnen, bei aller Inhaltlichkeit und Institutionskritik, die optische Lösung, die formale Gestaltung der Ausstellung?

Kosuth: Die Form dient der Idee. Es ist wie bei einem Mann, der bei einer schönen Frau nur deren Körper bemerkt, aber dabei übersieht, dass sie Hirnchirurgin sein oder ein Dutzend Bücher geschrieben haben könnte. Auch Ausstellungen kann man als reinen Augenschmaus genießen. Aber wer wirklich davon profitieren will, muss sich mit den Inhalten beschäftigen.

STANDARD: Sie nennen Ihre Arbeit "kuratierte Installation". Dienen die Werke anderer Künstler als eine Art Arbeitsmaterial?

Kosuth: Ja genau. Kuratieren ist in meinem Fall eine Art Aneignung. Die Archive und Depots des Freud-Museums und des Belvedere waren quasi mein Studio. Kuratoren gehen anders vor als ich; sie bemühen sich um Meisterwerke, hinter dieser Wahl verstecken sie ihre Verantwortung: Das ist wie Geld zu drucken. Man will die Kunst auspressen. Ich hingegen bin kein Kunsthistoriker, kein Wissenschafter, kein Kurator. Ich bin ein Künstler. Mir geht es um die Konstruktion von Bedeutung. Ich übernehme, anders als ein Kurator, die subjektive Verantwortung für den inhaltlichen Mehrwert. Künstler zu sein heißt für mich, kreativ, schöpferisch zu sein, der Ideengeschichte etwas Neues hinzuzufügen.

STANDARD: Sie arbeiten von jeher konzeptuell. Einfach malen oder bildhauern wollten Sie nie?

Kosuth: Ich arbeite mit Inhalten, nicht mit Formen und Farben. Natürlich können sie bei der Produktion von Inhalt verwendet werden, aber sie sind nicht das Wesentlichste. Sonst verkommt Kunst zur Trophäensammlung für reiche Säcke. Wenn Geld die Kunst bestimmt, ist das deren sicherer Tod. Künstler müssen Verantwortung übernehmen! Es reicht nicht, Kunst auf den Markt zu werfen und sich nicht darum zu kümmern, was der damit macht. Wittgenstein sagte, Ethik und Ästhetik seien dasselbe - er hatte recht! (Andrea Schurian, DER STANDARD, 17.9.2014)