Bentley Flying Spur V8. Ein Lob der Bescheidenheit, wenn der weiße Riese nach Barcelona gleitet. Ein auffälliger Besuch in der bravsten Unruhezone aller möglichen neuen Republiken.

Ich war allein im Auto und kehrte von einer Jause auf dem Land zurück nach Barcelona, hatte die Hügel verlassen, um in respektvoller Zurückhaltung über die Autobahn zu schnüren. Der weiße Bentley verstärkte das Behagen. Natürlich war mir das Besondere des Tages bewusst. Die Katalanen haben sich angewöhnt, den Tag ihrer größten historischen Niederlage als Nationalfeiertag zu begehen. Diesmal würde gut eine Million Menschen ein gewaltiges Sieges-Vau auf Barcelonas prächtigsten Straßenzügen formieren, ein Meer in Rot und Gelb (Spanien und Katalonien haben zwar die gleichen Farben, aber anders verteilt). Vorbei an hunderten Bussen, mit denen die Menschen der Region in die Metropole gebracht wurden. Es gab einen Plan, wonach ein paar Hunderttausend Rot trugen und ein paar Hunderttausend Gelb, sodass sie dann in den Magistralen Barcelonas ihr Symbol formen konnten, Schulter an Schulter.

Foto: Bentley

Der Verkehr wurde immer dichter, jetzt kamen die Motorroller der Kids dazu, in die unvermeidlichen Farben gehüllt, bevor wir von der Stadt geschluckt wurden, die Gelben, die Roten, die Kids und ein großgewachsener Bentley. Der weiße Riese wurde eindeutig als Bereicherung der Szene empfunden. Immerhin ist dies ja keine proletarische Revolution. Friede den Villen der Tüchtigen! Alles wurde immer dichter, längst gab es kein Durchkommen mehr für Autos, aber ich meine, wo hätte ich den Bentley parken sollen? Das Menschen-Vau sollte um 17.14 Uhr fertig aufgestellt sein, entsprechend der Jahreszahl, als Barcelona von den Bourbonen gedemütigt wurde.

Foto: Bentley

Also: Um 17.14 Uhr würde die Stadt solide erstarrt sein. Ich konnte wenig anderes tun, als die Nase des Bentley geradeaus zu halten, bis zur nächsten Polizeisperre. Sah ich da eine Andeutung von Salutieren? Jedenfalls wurde flugs die Kette gelöst, der Weg war frei im Schritttempo der strömenden Freunde der Unabhängigkeit. Sie spürten den zärtlichen weißen Riesen im Rücken, machten ein wenig Platz, so gut es ging, mit freundlich fragenden Gesten. Weißer Bentley in diplomatischer Mission? Britische Autonummer! Vielleicht aus Schottland? Schickt hier ein kommender Botschafter am Sitz der Republik Catalunya seinen Chauffeur voraus?

Foto: Bentley

Ich meine, wenn ich eine schottische Fahne dabeigehabt hätte, hätten sie mich mit samt dem Auto (ziemlich vollgetankt plus ganzem, voll erwachsenem Mann: ca. 2500 Kilo) wohl geschultert, man sah ja manchmal auch das schottische Andreaskreuz an den Fenstern. So aber blieb meine Mission etwas geheimnisvoll, allemal von großem Wohlwollen begleitet. Ein gletscherweißer Bentley konnte in dieser Stunde nur Gutes verheißen für die Sache Kataloniens, und ich hab mich ja weiß Gott nicht aus dem Fenster gelehnt und "Viva Felipe!" gerufen.

Foto: Bentley

Nach etlichen Straßenzügen konnte ich in eine dünnere Menschenströmung abdriften, kam wieder zu Polizei, die zwar etwas salopp, aber doch salutierte, und entwischte ins freie Geläuf zum Hafenviertel.

Ich empfand das als sehr hübsches Zeichen für die Sozialverträglichkeit des Wagens, obwohl ja niemand ahnen konnte, dass ich tatsächlich den vergleichsweise schlichten V8 unter der Haube hatte und nicht den Zwölfzylinder, wie man es aus langer Tradition beim Flying Spur gewohnt ist.

Foto: Bentley

Bentley macht solche Dinge nicht aus zeitgeistlicher Tollerei oder weil bei der Kundschaft die Armut ausgebrochen wäre. Es ist ein komplexer Trend, bei dem der Einsicht der Konzerne durch steuerliche Schröpfung auf die Sprünge geholfen wird (krasses Beispiel: In China kostet der 6-l-W12 bloß an Steuern ca. 100.000 Euro mehr als der 4-l-V8, da schluckt sogar der gehobene Mittelstands-Chinese). Der Zielgruppe "Scheich und Emir" wird das wurscht sein, aber sonst wo kommt die Frische einer neuen Leichtigkeit ganz gut an: Gut 50 kg Mindergewicht an der Vorderachse machen den Flying Spur quicker in den Lenkreaktionen.

Foto: Bentley

507 PS und 660 Nm werden allemal als ausreichend empfunden, und die Beschleunigung ist sowieso akademisch. Wer ernsthaft die 5,2 sec (V8) oder 4,5 sec (W12) für Null-auf-Hundert abrufen will, hat eh keinen Bentley verdient. Spitze 295 km/h reicht zum Beispiel in der Schweiz schon für quasi lebenslänglich, da braucht's nicht mehr die 320 des Zwölfzylinders. Ernsthaft sind auch die Bemühungen beim Spritverbrauch (nein, noch kein Diesel, der kommt erst im SUV ab 2016). Wie der SUV ausschaut (man hat ja schon Studien gesehen)? Er schaut aus wie, uh, sehr viel Bentley, aus dem Vollen geschlagen. Die erste Jahresproduktion ist schon ausverkauft, hört man.

Foto: Bentley

Zurück zum Spur: Nur Bentley-Nerds werden die Winzigkeiten in den optischen Auftritten auseinanderhalten. Die Auspuffröhrln des V8 formen am Ende eine liegende Acht, der W12 bläst straight hinaus, geschenkt. Im Sound-Management ist Bentley bei den Limousinen sowieso zurückhaltend, hier kommt der zärtliche Riese, smooth, mit souveräner Leichtigkeit, die Macht bleibt in Reserve, die Geschmeidigkeit der Acht-Gang-Automatik schafft schon mal den Grundton.

Keine Unterschiede in der Ausstattung: von allem das Edelste, mit einer Geschmackssicherheit, die man gut neunzig Jahre üben durfte. Der V8 ist um zehn Prozent billiger als der Zwölfer, macht 231.880 Euro. (Herbert Völker, DER STANDARD, 19.9.2014)

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Teilnahme an internationalen Fahrzeug- und Technikpräsentationen erfolgt großteils auf Basis von Einladungen seitens der Automobilimporteure oder Hersteller. Diese stellen auch die hier zur Besprechung kommenden Testfahrzeuge zur Verfügung.

Foto: Bentley